Mehr als Migräne – moderne Schmerztherapie zwischen Individualität & Interdisziplinarität Gast: Dr. med. Reiter / Teil1
Shownotes
🔹 GAST: Dr. med. Thomas Reiter Oberarzt für Schmerztherapie Klinik Feldafing https://www.klinik-feldafing.de/ueber-uns/unsere-aerzte/dr-thomas-reiter
🔹 Themen dieser Folge: – Die unsichtbare Last: Was Migräne mit Menschen macht – Schmerz ist real: Warum Validierung so wichtig ist – CGRP, Triptane, Botulinumtoxin: Was heute wirklich hilft – Warum Interdisziplinarität und Psychotherapie dazugehören – Individualisierte Therapie statt Rezeptblock – MRT & mikroangiopathische Veränderungen – Migräne bei Kindern, Frauen & im Berufsleben – Von der Krise zur Kontrolle: Fallbeispiele aus der Praxis – Fragen aus der Community & wissenschaftliche Einordnung
🧠 Studien: – Dodick D.W. (2018): Migraine – current understanding and treatment. – Raffaelli B. et al. (2022): Efficacy of CGRP monoclonal antibodies in chronic migraine. – Müller et al. (2020): Multimodale Schmerztherapie bei Migränepatient:innen.
🙏 Dank an: – Jens Fischer de Brabander Dr. med. Florian Zentz - Benedictus Feldafing – Alexandra-Mariella für die Unterstützung in Vorbereitung & Kommunikation
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Speaker1: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Zwischenvisite und Vision
Speaker1: Medizin im Gespräch mit Dr. T und Mr. F.
Speaker0: Willkommen zurück bei Zwischenvisite und Vision Medizin im Gespräch.
Speaker0: Heute wird es ganz besonders spannend, denn wir sprechen über eine Erkrankung,
Speaker0: die Millionen betrifft und trotzdem oft im Schatten steht.
Speaker0: Die Migräne. Und wir sprechen mit jemandem, der nicht nur weiß,
Speaker0: wie Schmerz funktioniert, sondern auch, wie man Menschen hilft,
Speaker0: damit zurück ins Leben zu finden.
Speaker0: Unser heutiger Gast, Dr. Thomas Reiter, Oberarzt für Schmerztherapie an der
Speaker0: Klinik Felderfing, direkt am Starnberger See.
Speaker0: Eine Klinik, die nicht einfach irgendeine
Speaker0: ist, sondern eine von nur drei Einrichtungen in ganz Deutschland,
Speaker0: die das höchste Zertifikat der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft
Speaker0: trägt, Level 2 Zentrum und die einzige in Bayer, die diese Qualitätsstandards erfüllt.
Speaker0: Dr. Reiter selbst ist zu offiziell zertifizierter Kopfschmerzexperte der DMKG,
Speaker0: eine Qualifikation, die nur ausgewiesene Spezialistinnen und Spezialisten erhalten,
Speaker0: die sich intensiv mit Diagnostik, Therapie und Begleitung bei Kopfschmerzerkrankungen beschäftigt. Sein Weg.
Speaker0: Medizinstudium in Ulm, mit Stationen in der Schweiz und Südafrika.
Speaker0: Die Facharztausbildung in der Anästhesie führte ihn über München-Parsing,
Speaker0: Erding und an die LMU München, wo er sich auf operative Anästhesie und Kinderanästhesie spezialisierte.
Speaker0: Mit der Weiterbildung bei Professor Ginnig war der nächste Schritt klar,
Speaker0: der Weg in die spezialisierte Schmerzmedizin.
Speaker0: Seit 2020 ist der Oberarzt an der Klinik Felderfing und begleitet dort Menschen
Speaker0: mit komplexen Schmerzsyndromen, chronischen Kopfschmerzen und therapieresistenter Migräne.
Speaker0: Und das nicht nur medizinisch, sondern interdisziplinär, individuell und menschlich.
Speaker0: Privat lebt er mit seiner Familie am Ammersee, ist verheiratet,
Speaker0: Vater von zwei Kindern, liebt Musik, gutes Essen und ganz ehrlich,
Speaker0: den Sport braucht's dann halt auch.
Speaker0: Was ihn ausmacht? Ein klarer Blick, eine ruhige Stimme und die Haltung.
Speaker0: Schmerz ist real und verdient eine echte Therapie. Heute sprechen wir genau das an.
Speaker0: Wie funktioniert moderne Schmerzmedizin bei Migräne?
Speaker0: Was bringt CGRP-Antikörper, Botulin-Toxin, also besser bekannt als Botox,
Speaker0: um multimodale Konzepte wirklich?
Speaker0: Und wie sieht ein Behandlungsweg aus, der nicht nur auf Rezept,
Speaker0: sondern auf Respekt und Ressourcen setzt? Ich freue mich sehr und sage jetzt,
Speaker0: herzlich willkommen bei uns, Dr. Thomas Reitner.
Speaker0: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge von Zwischenvisite und Vision Medizin im Gespräch.
Speaker0: Weltweit leiden über eine Milliarde Menschen an Migräne.
Speaker0: In Deutschland circa 8 bis 10 Millionen Patienten, die tatsächlich behandlungsbedürftig
Speaker0: versorgt werden müssen.
Speaker0: Ein Verhältnis von Männern zu Frauen oder beziehungsweise von Frauen zu Männern
Speaker0: ist 3 zu 1 in der Altersgruppe zwischen 35 und 45 Jahren.
Speaker0: Ich bin froh, heute mit einem absoluten Experten auf diesem Gebiet zu sprechen, Dr.
Speaker0: Thomas Reiter. Hallo, Herr Dr. Reiter.
Speaker1: Hallo, Herr Beigelbeck.
Speaker0: Herr Dr. Reiter, erst mal bringen Sie uns doch mal ein bisschen so nahe,
Speaker0: wie Sie zur Schmerzmedizin gekommen sind.
Speaker0: Wir haben ja vorher schon mal so ein bisschen im Intro gehört,
Speaker0: dass es da so Auslöser gab,
Speaker0: aber als Anästhesist in diesem sehr, sehr speziellen Fall und wir haben ja auch
Speaker0: bereits eine Anästhesiefolge mit dem Dr. Jens Brababander gehabt.
Speaker0: Wie kommt das?
Speaker1: Tatsächlich ist der Schmerz ein bisschen das
Speaker2: Little Big Problem oder das
Speaker1: Notwendige Übel. Und wenn Sie mich ehrlich fragen, ich wollte nie Schmerztherapeut werden.
Speaker1: Die klassische Karriere als Anästhesist führt natürlich durch den OP,
Speaker1: über die Intensivstation, die Notfallmedizin und die Schmerztherapie.
Speaker2: Und die Schmerztherapie ist sehr wichtig.
Speaker1: Ist insofern eine Herausforderung,
Speaker1: weil die individuellen Patientenschicksale sehr vielfältig sind und die Mittel
Speaker1: zur Behandlung jetzt im klassischen Sinne begrenzt sind.
Speaker1: Viele Patienten wollen gar keine Medikamente. Viele Patienten wollen aber dringend
Speaker1: das Problem, dass sie wirklich im Alltag massiv beeinträchtigt, loswerden.
Speaker1: Und da eine Lösung zu finden, das bedarf einfach auch einem interdisziplinären Ansatz.
Speaker1: Bei mir war es tatsächlich so, dass die Schmerzmedizin eine Zusatzbezeichnung
Speaker1: ist oder generell Schmerzmedizin ist eine Zusatzbezeichnung,
Speaker1: die man erwirbt nach erfolgreicher Facharztweiterbildung.
Speaker1: Und wenn man an der Universitätsklinik tätig ist, schaut man natürlich auch
Speaker1: immer Richtung die Zukunft.
Speaker1: Die Zeit, die man dort verbringen kann, ist ein Stück weit begrenzt.
Speaker1: Da war es eine fast taktische Entscheidung zu sagen, ich nehme das mit,
Speaker1: was ich andernorts nur schwer erwerben kann.
Speaker1: Dann bin ich bei Dominik Irnig gelandet in der Schmerzambulanz Innenstadt,
Speaker1: die tatsächlich einen komplett anderen Ansatz wählt.
Speaker1: Das heißt, die Komplementärmedizin ist da hoch im Kurs.
Speaker1: Dominik Irnig ist der Präsident der Deutschen Ärztegesellschaft für Akupunktur.
Speaker1: Demzufolge ist fast klar, dass man auch die komplementärmedizinischen Maßnahmen
Speaker1: erlernen und wahrscheinlich auch ergreifen soll.
Speaker1: Ich habe mich ein Stück weit dagegen verwehrt erstmal und bin dann den klassischen
Speaker1: Weg gegangen über die Pharmakotherapie und bin dann aber auch in die Akupunktur gelandet.
Speaker1: Und letztlich muss man sagen, das ist leider etwas, was man hier noch nicht
Speaker1: vielen Patienten flächendeckend zur Verfügung stellen kann, weil es halt von
Speaker1: den Kassen oft nicht bezahlt wird und tatsächlich auch einen sehr,
Speaker1: sehr individuellen Ansatz erfordert.
Speaker1: Die Schmerzmedizin klassisch über Pharmakotherapie bringt einen auch ein Stück
Speaker1: weiter und so durfte ich dort tatsächlich auch alles kennenlernen,
Speaker1: was es an Möglichkeiten gibt. und am Ende der Weiterbildung
Speaker1: In der Schmerzambulanz, und das war tatsächlich hauptsächlich ein Ambulanzbetrieb,
Speaker1: wollte ich damit eigentlich gar nicht weitermachen, weil ich gesehen habe,
Speaker1: dass so dieser reine Durchsatz und das Gespräch und monatlich die Leute zu sehen,
Speaker1: nur noch Rezepte zu schreiben, Gutachten und so weiter, das hat mich nicht gefordert.
Speaker1: Und dann bin ich durch Zufall auf Tuzing gestoßen, auf den Professor Freinhagen.
Speaker1: Und dieses Konzept hat mich sehr interessiert, weil die Klinik existiert eben schon sehr lange.
Speaker1: Wurde vor, ich glaube, knapp 25 Jahren die Schmerzmedizin ins Leben gerufen.
Speaker1: Das war eine der ältesten schmerzmedizinischen Einrichtungen in Deutschland von Reinhard Thoma.
Speaker1: Und der Professor Freinhagen ist jetzt seit knapp 15 Jahren dort.
Speaker1: Und macht dort stationäre multimodale Schmerztherapien.
Speaker1: Und ich habe mir gedacht, das ist interessant, das guckst du dir mal an.
Speaker1: Und tatsächlich haben wir jetzt seit Ende 2019 an unserem Klinik Neubau in Zelderfing
Speaker1: nochmal ganz neue Möglichkeiten bekommen.
Speaker1: Wir sind 2019 dorthin umgezogen, konnten die Kapazitäten deutlich erweitern
Speaker1: und haben aber auch durch den Klinik Neubau ganz neue Optionen bekommen.
Speaker1: Ein eigenes Schwimmbad, ein riesen Trainingsbereich, ein großes interdisziplinäres Team.
Speaker1: Und das ist genau das, was für mich die Schmerzmedizin ausmacht.
Speaker1: Das ist keine Einzelleistung, es ist Teamsport.
Speaker1: Und das ist auch ein Punkt, warum ich im Moment immer noch nicht niedergelassen
Speaker1: bin und es wahrscheinlich auch nicht werde.
Speaker1: Ich wäre nur ein Drittel so guter Schmerztherapeut, weil ich eben in der Praxis
Speaker1: keinen Physiotherapeuten habe, keine Psychologen habe, keine Pflegekräfte,
Speaker2: Die wir hier Co-Therapeuten nennen,
Speaker1: Weil die auch einen ganz relevanten Einfluss auf den Patienten nehmen und diese
Speaker1: Rundumversorgung einfach in der Praxis für mich so nicht funktioniert.
Speaker1: Ich bin sehr dankbar und froh um jeden niedergelassenen Kollegen und es soll
Speaker1: auch ein Appell sein, die Schmerzmedizin nicht auszuklammern und sich wirklich
Speaker1: auch niederzulassen, um dort auch die Patienten weiter versorgen zu können.
Speaker1: Aber für meinen Ansatz habe ich hier eigentlich ideale Bedingungen und bin sehr
Speaker1: glücklich, hier gelandet zu sein.
Speaker0: Das klingt auf jeden Fall wirklich sehr schön, sehr, nicht entspannt wäre jetzt
Speaker0: das falsche Wort, aber angekommen,
Speaker0: mit dem Weg aber weiter zu laufen und weiterhin Verbesserungen zu machen.
Speaker0: Wir haben ja im Vorfeld des Gesprächs ja auch schon mal drüber gesprochen.
Speaker0: Der Vorteil an dem Neubaufelderfing ist ja trotzdem nicht nur gegeben,
Speaker0: dass es ein neues Gelände ist oder ein neuer Klinikbau,
Speaker0: sondern man hat ja ganz bewusst die Klinik in der Nähe von Tuzing gelassen.
Speaker0: Wir reden hier für die Hörer, die sich das jetzt nicht so ganz vorstellen können.
Speaker0: Autofahrminuten sind es vielleicht fünf, zu Fuß vielleicht einen Ticken länger.
Speaker0: Aber es ist tatsächlich um die Ecke und jederzeit von beiden Disziplinen.
Speaker0: Also die Klinik Tutzing ist ja weiterhin mit Handschirurgie,
Speaker0: Wirbelsäulen, Gelenk, Orthopädie, alles Mögliche ja top ausgestattet.
Speaker0: Wo Sie ja auch sich jederzeit den Rückhalt holen können oder wenn Sie Fragen
Speaker0: haben, einfach da auf kurzen Wege sprechen.
Speaker0: Der Dr. Zenz hat das ja auch schon angesprochen in seiner Folge,
Speaker0: dass da die Zusammenarbeit darüber wirklich gut funktioniert und sehr,
Speaker0: sehr entspannt funktioniert.
Speaker0: Also alle für die, die es noch nicht gehört haben, wir haben komplexe Wirbelsäulenschirurgie
Speaker0: mit dem Dr. Zenz, mit dem Kollegen vom Dr.
Speaker0: Reiter schon aufgenommen, findet ihr in unseren Folgen.
Speaker0: Herr Dr. Reiter, was bedeutet denn für Sie Behandlung auf Augenhöhe in der Ambulanz oder Praxis?
Speaker1: Also...
Speaker1: Das haben sie ja aus meinem LinkedIn-Profil entnommen und tatsächlich war so
Speaker1: der erste Gedanke, ja, man braucht einen Slogan, irgendwas Griffiges.
Speaker1: Und tatsächlich kam das so aus einem Impuls heraus, dass das aber eigentlich
Speaker1: auch die Art und Weise des Umgangs mit Patienten für mich darstellt,
Speaker1: die für mich wesentlich ist.
Speaker1: Ich bin als Schmerztherapeut der Lotse und der Kapitän auf dem Schiff muss der
Speaker1: Patient bleiben, weil am Ende des Tages, er ist der Betroffene,
Speaker1: er hat das Leid in Anführungszeichen.
Speaker1: Er muss für sich aber auch die Entscheidungen treffen, welche Mittel nehme ich
Speaker1: in Anspruch, sei es jetzt welches Medikament schlucke ich,
Speaker1: welche Maßnahmen ergreife ich und für mich ist es eben wichtig,
Speaker1: diese Entscheidungen bestmöglich gemeinsam mit dem Patienten zu treffen.
Speaker1: Wir wissen aus der Placebo-Forschung, dass das beste Medikament nicht helfen
Speaker1: kann, wenn der Patient es nicht will.
Speaker1: Und da geht es nicht darum, dass Zuckerpillen gegeben werden,
Speaker1: die keinen Wirkstoff enthalten, sondern es ist nachgewiesen,
Speaker2: Dass auch wirkstoffhaltige Präparate,
Speaker1: Wo ich in den Wirkmechanismus aufmalen kann, nicht funktionieren können,
Speaker1: wenn der Patient es nicht möchte.
Speaker1: Als Anästhesist, klar, die Propofol-Spritze ist immer stärker.
Speaker1: Aber wirklich die Wirksamkeit von Medikamenten hängt ganz, ganz drastisch davon ab.
Speaker1: Und deswegen ist für mich Augenhöhe etwas ganz Wichtiges. Der Patient soll mein
Speaker1: Partner sein, muss mein Partner sein.
Speaker1: Ich muss ihn nicht mit nach Hause nehmen am Ende des Tages. Aber wir wollen
Speaker1: hier gemeinsam etwas erarbeiten, was funktioniert.
Speaker1: Und ich mache Vorschläge, die der Patient natürlich jederzeit annehmen oder ablehnen darf.
Speaker1: Es ist letztlich nicht meine Entscheidung.
Speaker1: Und ein ganz großes Motto bei uns ist,
Speaker2: Wir wollen überzeugen und nicht überreden.
Speaker1: Und deswegen ist Augenhöhe für mich ein ganz, ganz wichtiges Prinzip.
Speaker0: Was ich jetzt sehr interessant fand, und das werde ich mir auch für die Zukunft
Speaker0: wirklich gut merken, wie man es am besten erklärt, und das haben sie wirklich
Speaker0: sehr, sehr schön erklärt mit dem Schiff und mit dem Kapitän.
Speaker0: Klar denkt jetzt jeder wahrscheinlich an die Titanic und den Eisberg,
Speaker0: da steuert nämlich ansonsten der Patient alleine drauf zu,
Speaker0: im schlimmsten Fall, aber es ist tatsächlich wahr, der Patient bestimmt am Ende,
Speaker0: den Weg und wohin die Reise geht.
Speaker1: Ich habe in der Schmerzmedizin das Glück, und das klingt jetzt ein bisschen drastisch,
Speaker1: Man kann natürlich an Schmerzen sterben, aber prinzipiell die Erkrankungen,
Speaker1: die wir behandeln, führen nicht unmittelbar zum Tod.
Speaker1: Anders wie in der Notfallmedizin, wo ich schnell innerhalb von Sekundenbruchteilen
Speaker1: die richtige Entscheidung treffen muss.
Speaker1: In der Schmerzmedizin habe ich die Möglichkeit, mir die Zeit zu nehmen,
Speaker1: die richtige Entscheidung zu treffen.
Speaker1: Und natürlich ist es für die Patienten häufig ein hochakutes Thema.
Speaker1: Die leiden schwer. Sie werden nicht
Speaker1: ernst genommen. Sie sind zum Teil arbeitsunfähig, über längere Zeiten.
Speaker1: Und da generieren sich ganz, ganz viele Probleme draus. Aber ich muss nicht sofort draufhauen.
Speaker1: Und tatsächlich ist es ein wichtiges therapeutisches Prinzip,
Speaker1: manchmal auch den Druck rauszunehmen aus dieser Situation.
Speaker1: Und das kann ich mir hier in der Schmerzmedizin einfach auch erlauben.
Speaker1: Auch nochmal ein, zwei Tage zuzuwarten.
Speaker1: Die Vorschläge zu unterbreiten und den Faktor Zeit einfach auch zu nutzen.
Speaker1: Und das ist etwas, was ich tatsächlich auch sehr schätze.
Speaker1: Sie haben vorhin gesagt, entspannt ist wichtig.
Speaker1: Entscheidungen, die man unter Druck trifft, sind in manchen Situationen nicht
Speaker1: unbedingt immer die besten Entscheidungen.
Speaker1: Und deswegen kann ich einfach in der Schmerzmedizin da auch andere Zeiträume auch gelten lassen.
Speaker1: Und es gibt auch den falschen Zeitpunkt für die richtige Maßnahme.
Speaker1: Auch das haben wir oft schon feststellen müssen.
Speaker1: Und genau, da ist es einfach wichtig, den Patienten so optimal wie möglich zu
Speaker1: beraten und gemeinsam zu der richtigen Lösung zu kommen.
Speaker0: Das ist auf jeden Fall wirklich unbeschrieben,
Speaker0: Jetzt sind wir auch heute beim Thema Migräne und wir gehen jetzt nicht auf diesen typischen Satz.
Speaker0: Ja, Migräne, das ist ja mittlerweile der, diejenige.
Speaker0: Ich habe es gerade vorher auf der Fahrt zu Ihnen gehabt, da hatte ich auch mal
Speaker0: kurz die Snickers-Werbung von damals mit Tiber besprochen.
Speaker0: Das ist ja so ähnlich wie die Migräne dargestellt, also jeder kann sich das vorstellen.
Speaker0: Und ich glaube, es ist auch noch keiner ausgenommen worden oder davon ausgenommen,
Speaker0: dass er nicht schon mal gesagt hat, Migräne mal wieder.
Speaker0: Das wird dann immer so unterm Tisch geschoben.
Speaker0: Herr Dr. Reiter, lassen Sie uns mal reingehen und so ein bisschen beginnen mit
Speaker0: unserem Thema von heute und dazu mal eine 1 zu 1 Aussage von einem Patienten über die Wahrnehmung.
Speaker0: Ich bin schon lange in Behandlung, aber niemand fragt, wie fühlt sich Migräne wirklich an?
Speaker0: Ich fühle mich nicht ernst genommen, weil man mir nichts anzieht.
Speaker0: Wie oft hören Sie solche Sätze vom Betroffenen?
Speaker1: Täglich
Speaker1: und wenn ich 5 Euro von jedem Patienten kriegen würde der mir sagt,
Speaker1: wir sind seine letzte Hoffnung ich muss nicht mehr arbeiten
Speaker1: tatsächlich ist das ein großes Problem für Schmerzpatienten generell und gerade
Speaker1: jetzt Migränepatienten wie Sie richtig gesagt haben, sind ja eher jung und fit
Speaker1: und man sieht es den Leuten nicht an
Speaker1: Schmerz ist etwas, wo ich mich komplett auf die Aussage des Patienten verlassen
Speaker1: muss und das untermauert halt auch wieder das Vertrauensverhältnis, das man haben muss.
Speaker1: Es steht mir als Therapeut nicht zu, das zu bewerten. Also diese berühmt-berüchtigte
Speaker1: Skala von 0 bis 10, die kann ich nicht objektivieren.
Speaker1: Und wenn mir ein Patient das schildert, dann muss ich das als wahr annehmen
Speaker1: und darauf aufbauend letztlich die Therapie bauen.
Speaker1: Migräne ist eine komplexe neurologische Erkrankung. Jetzt fragen sich sicherlich
Speaker1: viele, wie kommt der Anästhesist dazu, Migräne zu behandeln.
Speaker1: Weil letztlich die reine Neurologie und das reine Symptom und das,
Speaker1: was dahinter steckt, sicherlich ein wichtiger Punkt ist.
Speaker1: Aber ich letztlich Methoden brauche, die jetzt gar nicht so spezifisch auf die
Speaker1: Migräne abgestellt sind, wenn wir über die multimodale Therapie sprechen.
Speaker1: Der große Vorteil bei der Migräne ist, wir wissen mittlerweile mehr und mehr darüber,
Speaker1: wie sie entsteht, woher sie kommt und welche Botenstoffe daran beteiligt sind,
Speaker1: sodass wir dann ganz spezifisch auch gegen die Migräne arbeiten können.
Speaker1: Und der erste Angriff bei der Migräne ist immer die Akuttherapie,
Speaker1: das heißt dort die richtige Medikation rauszusuchen,
Speaker1: um den Patienten von den akuten Symptomen zu befreien und wieder handlungsfähig zu machen.
Speaker1: Als erstes kommt natürlich immer die Diagnose. Diagnose bedeutet,
Speaker1: bei vielen Schmerzerkrankungen, dass ich letztlich diese Diagnose anhand von
Speaker1: Beschreibungen von Patienten stellen muss.
Speaker1: Und da haben wir wieder diese Komplexität.
Speaker1: Keine Migräne ist gleich. Wenn ich zwei Migräne-Patienten nebeneinander setze,
Speaker1: dann gibt es häufig Gemeinsamkeiten.
Speaker1: Die sind auch zusammengefasst in internationalen Diagnose-Kriterien.
Speaker1: Der ICHD3, also der International Classification of Headache Diseases,
Speaker1: in der dritten Version jetzt.
Speaker1: Und da haben wir klare Kriterien, also häufig einseitiger Kopfschmerz,
Speaker1: häufig pulsierend, hämmernd,
Speaker1: mittlere bis hohe Schmerzintensität, häufig begleitet von Lichtscheu,
Speaker1: Geräuschempfindlichkeit, Übelkeit und Erbrechen.
Speaker1: Und daraus ergeben sich dann letztlich die Kriterien, die dann zur Diagnose der Migräne führen.
Speaker1: Es gibt aber kein operatives Verfahren, mit dem ich die Migräne feststellen kann.
Speaker1: Und es bleibt letztlich dann auch immer die klinische Entscheidung des Arztes, ist es Migräne?
Speaker1: Wir haben wöchentlich Patienten bei uns sitzen, wo wir es vom ersten Moment
Speaker1: an auch gar nicht sagen können.
Speaker1: Wo wir sagen, es handelt sich um eine komplexe Kopfschmerzerkrankung und tatsächlich,
Speaker1: man kann auch mehrere Kopfschmerzen gleichzeitig haben.
Speaker1: Diese ICHD3 umfasst 364 Kopfschmerzarten.
Speaker1: Ein Kollege von mir hat mal gesagt, für jeden Tag einen.
Speaker1: Und da sind Überschneidungen dabei. Es gibt letztlich Migräne,
Speaker1: die einzelnen Migräneunterformen umfassen,
Speaker1: ich habe es jetzt nicht nachgezählt, ich hätte jetzt über den Daumen gepeilt
Speaker1: gesagt, sicherlich 30 verschiedene Unterformen von Migräne.
Speaker1: Das ist eben aber auch nur eine wissenschaftliche Klassifikation,
Speaker1: wo man einfach auch versucht, Unterschiede oder auch Gemeinsamkeiten festzustellen
Speaker1: und Diagnose-Kriterien festzulegen.
Speaker2: Genau.
Speaker1: Die Behandlung, wie gesagt, erfolgt dann nach der Diagnose.
Speaker1: Man kann manchmal aber auch den Trick machen zu sagen, okay,
Speaker1: ich bin mir jetzt nicht sicher, aber ich behandle es jetzt mal,
Speaker1: als wäre es eine Migräne. Wenn es hilft, dann wird es schon eine sein.
Speaker1: Und wenn es nicht hilft, dann muss ich weitersuchen.
Speaker1: Und das Gute an der Migräne, wenn es überhaupt was Gutes gibt, ist,
Speaker1: dass es in den letzten Jahren wirklich massive Fortschritte in der Therapie
Speaker1: gegeben hat, einfach aufgrund der Erkenntnisse, woher die Migräne jetzt genauer
Speaker1: kommt. Und es ist noch vieles in der Pipeline.
Speaker1: Und auch da habe ich schon von Kopfschmerz-Spezialisten und Kollegen gehört,
Speaker1: die gesagt haben, es gibt eigentlich keinen besseren Zeitpunkt Migräne zu haben als jetzt.
Speaker1: Als Betroffener würde man sagen, es gibt überhaupt keinen guten Zeitpunkt für
Speaker1: Migräne, aber tatsächlich die Behandlungsmöglichkeiten sind deutlich besser
Speaker1: geworden und die Akzeptanz und auch das Wissen hat zugenommen.
Speaker1: Aber nichtsdestotrotz ist es immer noch eine Sache, wo sich eben viele,
Speaker1: viele Betroffenen nicht gesehen fühlen und da sind wir jetzt wieder beim Beginn der Frage.
Speaker1: Tatsächlich ist die
Speaker1: Der inflationäre Gebrauch des Begriffs Migräne häufig für Betroffene Probleme.
Speaker1: Viele Menschen sagen, wenn sie Kopfschmerzen haben, ja, ich habe heute Migräne.
Speaker1: Was nicht stimmt, weil Migräne einfach eine ganz andere, viel,
Speaker1: viel höhere Qualität hat und es wird häufig aber auch nicht ernst genommen,
Speaker1: weil es manchmal so als Ausrede klingt.
Speaker1: Aber tatsächlich, wenn man mit Migräne-Betroffenen spricht, das ist wie der
Speaker1: Hammer, der in einen reinschlägt.
Speaker1: Und das macht das Ganze einfach so problematisch. Und das ist das Gemeine an dieser Erkrankung.
Speaker1: Im Gegensatz zu anderen chronischen Schmerzerkrankungen, wo ich einfach so ein
Speaker1: konstantes Level irgendwo habe, mit dem ich umgehe, habe ich bei der Migräne
Speaker1: auch diese Ungewissheit, nie zu wissen, man schlägt sie zu.
Speaker0: Sie ist ja so ein bisschen tückisch.
Speaker0: Jetzt haben Sie schon so ein bisschen in die Richtung gehend das beschrieben,
Speaker0: Warum ist denn eigentlich die Migräne gesellschaftlich so unsichtbar?
Speaker0: Liegt es denn tatsächlich an diesem, ich habe Migräne, ist gleich Kopfschmerz,
Speaker0: oder ist sie tatsächlich so unsichtbar?
Speaker0: Und dazu noch gesagt, wir haben recherchiert. Die Studienlage ist in den letzten
Speaker0: Jahren deutlich noch umgegangen, also hat sich teilweise verdoppelt.
Speaker0: Man muss dazu mal sagen, für die Zuhörer, Aber wenn man auf den gewissen Plattformen
Speaker0: Zugriff hat, dann sieht man auch, wie viele Studien sind eingereicht worden,
Speaker0: wie viele sind im Kommen und sind gerade in der Mache.
Speaker0: Und da hat sich die Lage gerade in der Migräne-Therapie und in der Erforschung
Speaker0: der Erkrankung deutlich verbessert.
Speaker0: Das hat der Dr. Reiter auch gerade gesagt.
Speaker0: Aber kommen wir wieder zurück zu der Frage, liegt es denn tatsächlich daran,
Speaker0: dass das Kopfschmerz häufig so beschrieben wird aus Migräne?
Speaker1: Also...
Speaker1: Ein Problem ist sicherlich, dass die Migräne einen schlechten Ruf hat,
Speaker2: Ein Stück weit,
Speaker1: Und vielfach missverstanden wird und auch fehlverstanden wird.
Speaker1: Wir wissen, dass nur 40 Prozent der deutschen Bevölkerung im Laufe eines Jahres keine Schmerzen haben.
Speaker1: Das heißt, Schmerz ist etwas, was jeder von uns kennt.
Speaker1: Außer den Indianern vielleicht. Aber auch die kennen Schmerzen.
Speaker1: Und deswegen haben viele Leute ja auch eine Meinung von Schmerz.
Speaker1: Und wenn man jetzt hört Migräne, dann denkt man, ja, es ist Kopfschmerz.
Speaker1: Kopfschmerz hatte ja auch jeder von uns schon mal.
Speaker1: Und das ist halt der große Punkt. Migräne ist mehr als Kopfschmerz.
Speaker1: Und Migräne ist letztlich in der maximalen Ausprägung etwas,
Speaker1: was tatsächlich auch Leute in Nothilfen bringt, in Notaufnahmen bringt.
Speaker1: Auch als Notarzt, der ich ja auch bin, wurde ich schon zu Patienten mit Migräne
Speaker1: gerufen, weil wenn man auf einmal nicht mehr sprechen kann, wenn man teilweise
Speaker1: die Hände oder Beine nicht mehr koordiniert bewegen kann, ja dann rufe ich den Notarzt.
Speaker1: Und wenn man dann gesagt bekommt, es ist Migräne, dann ist man einerseits erleichtert,
Speaker1: aber andererseits fühlt man sich dann so in ein Genre geschoben,
Speaker1: was einem vielleicht auch nicht so wirklich behakt,
Speaker1: weil ja nur wegen Kopfschmerzen stellt man sich so an in Anführungszeichen.
Speaker1: Das ist halt nicht zutreffend.
Speaker1: Das Bewusstsein zu dem Thema ist gestiegen, auch das Wissen ist gewachsen,
Speaker1: auch die Therapiemöglichkeiten sind deutlich gewachsen, weil früher hatte man
Speaker1: halt das Problem, da gab es den klassischen Witz, nimm zwei Aspirin und ruf mich morgen wieder an.
Speaker1: Da kann man mittlerweile auch mehr machen aber viele auch meiner Kollegen haben so ein bisschen
Speaker1: die Schwierigkeit das nicht verstanden zu haben, ich weiß noch wie ich zum ersten
Speaker1: Mal von Migräne gehört habe das war noch im Studium
Speaker1: sie brauchen nicht glauben, dass das von einem Dozenten war,
Speaker1: sondern das war von einer Kommilitonin von mir, die Migräne betroffen war und
Speaker1: die hat mir dann erstmal erzählt wie sich das anfühlt und da habe ich mir gedacht,
Speaker1: oh hoppala Das ist doch mehr als nur Kopfschmerzen.
Speaker1: Und es ist ein Stück weit auch...
Speaker1: Die Persönlichkeit des Patienten. Tatsächlich ist es so, wir versuchen ja in
Speaker1: der Medizin auch immer mal wieder so Persönlichkeitsmerkmale festzustellen,
Speaker1: die zu bestimmten Erkrankungen passen.
Speaker1: Und die schlechte Nachricht ist, es gelingt nie, weil es viel zu vielschichtig
Speaker1: ist, um es quasi in einen Typus festzulegen. Beim Herzinfarkt weiß man Typ A
Speaker1: Persönlichkeit, also dieser aufbrausende Typ, der immer Volldampf unterwegs ist.
Speaker1: Das sind Leute, die ein höheres Risiko haben für Herzinfarkte.
Speaker1: Tatsächlich ist es aber bei der Migräne auch so, das sind häufig Menschen,
Speaker1: die einen hohen Anspruch an Perfektionismus haben. Auch so die Durchhalter,
Speaker1: die alles richtig machen wollen und das häufig auch tun.
Speaker1: Also Migräne-Persönlichkeiten sind im Umgang häufig sehr angenehm,
Speaker1: weil die ziehen alles gnadenlos durch und machen das super schön und gut.
Speaker1: Aber die wollen sich dann eben auch diese Schwäche nicht zugestehen,
Speaker1: dann durch die Migräne wirklich so behindert zu werden.
Speaker1: Und das ist also dieser Scham-Aspekt, der da mit reinspielt.
Speaker1: Und auch eben das anerkennen zu müssen, dass der eigene Körper halt doch nicht
Speaker1: so perfekt ist, wie man ihn halt gerne hätte.
Speaker1: Und dann auch manchmal die Auszeit erzwingt.
Speaker1: Also dieser Stack-Overflow, den wir vom Computer her kennen,
Speaker1: das ist manchmal so ein bisschen ein Bild für die Migräne.
Speaker1: Und dann wird es spannend.
Speaker1: Letztlich ist es jetzt so, wenn wir sagen 16 Millionen Menschen oder also die
Speaker1: maximale Zahl, die ich jetzt gefunden habe, 16 Millionen Menschen in Deutschland
Speaker1: von Kopfschmerzen und Migräne betroffen.
Speaker1: Davon sind nicht alle so hoch akut und so maximal betroffen.
Speaker1: Aber schon drei, vier Mal im Jahr kann einem wirklich die Suppe versalzen,
Speaker1: weil genau in den entscheidenden Momenten im Leben dann schlägt die Migräne zu.
Speaker1: Und das ist die große Angst des Migränepatienten.
Speaker1: Und daraus entwickelt sich halt dann auch gerne mal so ein Teufelskreis aus
Speaker1: Anspannung, Angst und noch mehr Anspannung. Und dann kommt es irgendwann zum
Speaker1: Ausbruch letztlich der Migräne, die da mit rein spielt.
Speaker1: Ich weiß auch, dass einige Protagonisten oder Meinungsbildner in der Migräne,
Speaker1: die sich in der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft zusammengefügt haben,
Speaker1: Selber auch von Migräne betroffen sind.
Speaker1: Und ich bin es nicht. Ich durfte trotzdem Mitglied werden.
Speaker1: Und ich sage auch immer ganz flapsig, ich muss keinen Herzinfarkt gehabt haben,
Speaker1: um einen behandeln zu können.
Speaker1: Aber es erleichtert einfach auch das Verständnis. Und was wichtig ist,
Speaker1: ist, nehmen Sie Menschen mit Migräne ernst.
Speaker1: Wenn jemand sagt, er hat Migräne und er kann nicht, dann ist es in den allermeisten
Speaker1: Fällen keine Ausrede, sondern es ist dann wirklich ein ernsthaftes Thema und ein Problem.
Speaker1: Die Leute wissen dann in den meisten Fällen schon auch, was für sie gut ist,
Speaker1: aber die wenigsten Menschen nutzen tatsächlich Migräne als Ausrede und deswegen
Speaker1: ist es eine wichtige Geschichte und es ist einfach mehr als nur Kopfschmerzen.
Speaker0: Vielen Dank, Herr Dr. Reiter, für die wirklich toll beantwortete Frage.
Speaker0: Und ich glaube, das ist jetzt auch so der Moment, wo wir in den Einstieg gehen
Speaker0: und dann uns mal so ganz genau das Gesicht anschauen von einer Migräne.
Speaker0: Jetzt haben Sie ja vorher schon gesagt, Sie würden jetzt mal aus dem Stehgreif
Speaker0: sagen, 30 Migräne-Arten.
Speaker0: Tatsächlicherweise hat man sich da auch nie so genau festgelegt, wie viele es denn gibt.
Speaker0: Also es gibt tatsächlich Zahlen zwischen 30 und 80, habe ich gefunden in den
Speaker0: USA. Da wird das wohl auch noch ein bisschen differenzierter betrachtet.
Speaker0: Jetzt gehen wir mal so kurz in so eine, ich erzähle jetzt einfach mal so ein
Speaker0: paar Kurzaufzählungen von Migränearten.
Speaker0: Es gibt die Migräne ohne oder mit Aura, die hemiplegische Migräne,
Speaker0: die renitale Migräne, menstruelle Migräne,
Speaker0: vestibuläre Migräne, chronische Migräne, Status Migränusus und Aura induzierte epileptische Anfälle.
Speaker0: Herr Dr. Reiter, jetzt sind Sie ja in der ja, Top-Klinik.
Speaker0: Wir haben ja in der Begrüßung mitgehört, die einzige mit dem Status 2 oder auf Stufe 2, 3.
Speaker0: Auf der Stufe 3 in Bayern.
Speaker0: In Deutschland gibt es sonst auch nicht so wahnsinnig viele mehr.
Speaker0: Welche Migräneformen sehen Sie am häufigsten in der Klinik?
Speaker1: Also klassischerweise Migräne mit oder ohne Aura.
Speaker1: Diese Sonderformen, diese hemiplegische Migräne,
Speaker1: die vestibuläre Migräne, das sind häufig Differenzialdiagnosen,
Speaker1: die uns mitgegeben werden, die aber eher auch wirklich selten sind.
Speaker1: Also die Hauptfrage, die sich uns eben letztlich stellt Migräne mit oder ohne
Speaker1: Aura weil das letztlich auch eine Relevanz für die Behandlung hat nicht von
Speaker1: den Arten der Medikamente aber sehr wohl vom Einnahmezeitpunkt
Speaker1: der Status Migrenosis, das ist halt die maximale Form das heißt,
Speaker1: das ist eine Migräne, die länger als 72 Stunden andauert und wenn man sich vorstellt
Speaker1: Bis zu 72 Stunden ist in Anführungszeichen noch, kann noch normal sein.
Speaker1: Das möchte ich mir ehrlich gesagt gar nicht vorstellen müssen.
Speaker1: 72 Stunden einen mittelstark bis stark beschriebenen Kopfschmerz,
Speaker1: einseitig pulsierend, hämmernd mit diesen Begleitsymptomen, die ich vorhin auch
Speaker1: erwähnt hatte, also Übelkeit, Erbrechen,
Speaker1: Geräusch und Lichtempfindlichkeit.
Speaker1: Also da möchte ich gar nicht dran denken, wie sich das anfühlen muss. Und genau.
Speaker0: Man muss ja auch mal für die Zuschauer oder für die Zuhörer das genau beschreiben.
Speaker0: Sich alleine mal vorzustellen, 72 Stunden lang einen Schmerz im Kopf zu spüren.
Speaker0: Das ist wie wenn ich 72 Stunden lang mir immer die Nadel reinpiekse.
Speaker0: Das ist dann ein anderer Schmerz, aber es ist auch ein Schmerz.
Speaker1: Es ist halt, das Gemeine ist letztlich bei diesen Arten von Schmerzen,
Speaker1: wenn ich mir das Bein gebrochen habe und
Speaker2: Ich gebe Ruhe,
Speaker1: Dann tut es nimmer so schlimm weh. Bei der Migräne, das ist der Migräne relativ wurscht,
Speaker2: Ob ich Ruhe gebe.
Speaker1: Die meisten Menschen suchen natürlich Ruhe und abgedunkelter Raum, kein Lärm und so weiter.
Speaker1: Aber das macht nur die Spitzen geringer. Der Grundschmerz ist ja noch weiterhin da.
Speaker1: Und von daher ist es halt wirklich was, was schwer auszuhalten ist.
Speaker1: Jetzt hat jeder Patient so ein Stück weit seine Hausmittelchen und die sind extrem wichtig.
Speaker1: Die Möglichkeit, mich selber zu behandeln,
Speaker1: gibt mir ein Stück weit wieder Kontrolle zurück über mein Leben.
Speaker1: Und deswegen werden sie von uns, außer sie betreiben ein selbstschädigendes
Speaker1: Verhalten, sprich den Kopf gegen die Wand zu schlagen, halte ich für kein gutes Konzept.
Speaker1: Das macht es in der Regel auch nicht besser, aber bekommen sie von uns da auch
Speaker1: selten gesagt, nein, tun sie das nicht, das ist vollkommen falsch.
Speaker1: Wenn mir ein Patient sagt, das hilft mir, dann bemühe ich mich bei den nicht
Speaker1: medikamentösen Dingen, den ganzen eben den Raum auch zu geben und zu sagen,
Speaker1: gut, aber wir wollen natürlich auch schauen,
Speaker1: wie kann man das Ganze noch ergänzen oder welche Möglichkeiten habe ich noch,
Speaker1: das Ganze zu verbessern.
Speaker1: Und da sind wir tatsächlich bei der Migräne recht schnell.
Speaker1: Bei der Akutmedikation, das ist ein wichtiger Punkt.
Speaker1: Vor knapp 30 Jahren wurden die Triptane entwickelt und Triptane sind eine Substanzgruppe,
Speaker1: die letztlich eine gefäßverengende Wirkung haben.
Speaker1: Bei der Migräne geht man pathophysiologisch davon aus, dass die Migräne durch
Speaker1: eine Gefäßerweiterung bedingt ist.
Speaker1: Die schlagartig einsetzt und dann diesen pulsierenden Kopfschmerz macht.
Speaker1: Der Fachneurologe kann und wird mir da widersprechen oder teilweise auch widersprechen,
Speaker1: weil da noch viel mehr dahinter steckt.
Speaker1: Aber so als Erklärung für die Wirkungsweise ist das für mich so das treffendste
Speaker1: Bild und die Triptane machen diese weitgestellten Gefäße einfach wieder eng.
Speaker1: Und damit habe ich dann eine schmerzlindernde Wirkung.
Speaker1: Schmerz lindern können auch klassische Schmerzmittel, also das üblicherweise
Speaker1: eingesetzte Ibuprofen,
Speaker1: das seltene eingesetzte Diclofenac, bei der Migräne nicht unbedingt besser wirksam,
Speaker1: aber eben auch Paracetamol oder Metamizol,
Speaker1: das Novalgin, die können den Migräneschmerz auch lindern und tatsächlich sollten
Speaker1: die dann auch verwendet werden.
Speaker1: Bei den Tryptanen ist es wichtig, den Einnahmezeitpunkt richtig zu wählen.
Speaker1: Das heißt, der Ablauf der Migräne geht über einen gewissen Zeitraum.
Speaker1: Es gibt Patienten, die tatsächlich auch Vorläufesymptome beschreiben,
Speaker1: weil sie tatsächlich vielleicht auch Süßhunger oder Abneigung gegen bestimmte Dinge haben.
Speaker1: Dann wissen manche schon, oh je, jetzt zeichnet sich was ab.
Speaker1: Dann gibt es die Leute, die dann noch die Aura haben. Aura sind eben zusätzliche
Speaker1: visuelle oder auch gefühlsartige Veränderungen in der Wahrnehmung.
Speaker1: Seien es jetzt Lichtblitze oder Veränderungen im Seefeld. Man sieht auf einmal
Speaker1: Sterne oder Verzerrungen.
Speaker1: Da gibt es spannende Darstellungen auch im Internet, wie eine Aura aussehen kann.
Speaker1: Und die kommen eben dann dazu und das ist aber alles noch Vorläufer,
Speaker1: da läuft die eigentliche Migräne noch gar nicht und erst mit dem Beginn der
Speaker1: Kopfschmerzen sagen wir, da beginnt jetzt eigentlich
Speaker1: der Migräne-Kopfschmerzen und das ist der Zeitpunkt, wo man dann das Tryptan
Speaker1: auch nehmen sollte, weil dann stellen sich die Gefäße wieder eng und es lindert sich.
Speaker1: Man darf sich das aber auch nicht vorstellen wie ein Knopf, das heißt,
Speaker1: wenn ich ein Tryptan nehme,
Speaker1: dann hört im besten Fall der Schmerz auf oder wird zumindest mal gelindert,
Speaker1: aber die Migräne läuft trotzdem noch weiter, was unter der Haube läuft in Anführungszeichen
Speaker1: und das macht den Betroffenen halt auch weiterhin noch im Alltag eingeschränkt.
Speaker1: Wenn man Glück hat, ist es nach relativ kurzer Zeit vorbei.
Speaker1: Wenn man Pech hat, dauert es noch ein, zwei Tage an, fühlt sich dann so ein
Speaker1: bisschen an wie der Kater so ungefähr und irgendwann ist diese Phase dann auch vorbei und ist durch.
Speaker1: Und beim Status Migrinosis, da waren wir gerade noch, da hört es halt nicht auf.
Speaker1: Und das sind Leute, die nehmen Medikamente noch ein Löcher ein,
Speaker1: zum Teil, und es hilft einfach nichts.
Speaker1: Und das sind für uns dann tatsächlich auch Notfälle, die dann auch akut zu uns
Speaker1: in die Klinik kommen können.
Speaker1: Und das sind auch Menschen, die regelhaft in Notfallaufnahmen aufschlagen und
Speaker1: dort auch behandelt werden müssen. Genau.
Speaker0: Also ich hoffe, dass die Zuhörer jetzt eine sehr detaillierte und klare Vorstellung
Speaker0: bekommen haben von den paar Migränearten, die wir gerade schon so aufgezählt hatten.
Speaker0: Das ist wirklich für jeden so ein bisschen verständlich erklärt, Herr Dr. Reiter.
Speaker0: Welche werden denn häufig übersehen oder falsch behandelt?
Speaker0: Da gibt es ja mit Sicherheit auch so den ein oder anderen tückischen Moment.
Speaker1: Also selbst wir als Kopfschmerz-Experten stolpern einmal im Monat über Patienten,
Speaker1: wo wir uns nicht gleich einig sind, was es denn eigentlich ist.
Speaker1: Und es gibt tatsächlich auch Patienten, die wir aus unserer Behandlung erstmal
Speaker1: entlassen müssen und noch nicht mit Sicherheit sagen können,
Speaker1: das ist es. Das ist die Seltenheit.
Speaker1: Die Hauptschwierigkeit ist ehrlicherweise, dass sich Patienten gar nicht beim Arzt melden.
Speaker1: Wir wissen aus Untersuchungen, dass vielleicht 10% der Patienten,
Speaker1: die der Behandlung bedürfen,
Speaker1: also die Diagnose einer Migräne haben und tatsächlich auch die eine Behandlungsbedürftigkeit
Speaker1: haben, einfach aufgrund der Häufigkeit der Anfälle oder auch der Intensität der Anfälle,
Speaker1: maximal 10% begeben sich überhaupt auch in eine ärztliche Behandlung und werden
Speaker1: dann auch Leitlinien gemäß behandelt.
Speaker1: Es gibt ja Veröffentlichungen zu dem Thema.
Speaker1: Das erste ist eben, wie stelle ich die Diagnose, da gibt es die internationale
Speaker1: Klassifikation, über die ich gesprochen habe und das Ganze ist auch eingeflossen
Speaker1: in die Leitlinien zur Behandlung der Migräne.
Speaker1: Diese Leitlinien sind auch immer Teamsport, das heißt, das haben zwar die Neurologen
Speaker1: federführend entwickelt, Aber auch die Schmerzgesellschaften sind daran beteiligt
Speaker1: und es sind immer Konsensuspapiere.
Speaker1: Und tatsächlich, die Behandlungsleitlinie der Migräne hat den riesengroßen Doxus,
Speaker1: es ist eine Level-3-Leitlinie, also die höchste wissenschaftliche Evidenz.
Speaker1: Und die zusammengefasst, da finden Sie alle Informationen über Diagnose,
Speaker1: da finden Sie alle Informationen über die Behandlungsarten und Weisen,
Speaker1: wer braucht man eine Prophylaxe.
Speaker1: Das einzige Problem ist, das Ding hat 208 Seiten.
Speaker1: Und von daher hat man da einiges vor sich, aber ehrlicherweise,
Speaker1: man darf auch querlesen.
Speaker1: Und ich suche mir die Sachen raus, die mich da interessieren.
Speaker0: Ist ja heute Gott sei Dank auch schon ganz gut lösbar.
Speaker1: Genau. Was kann ich falsch machen?
Speaker1: Mich einfach nicht beim Arzt melden. Was kann der Arzt falsch machen?
Speaker1: Es nicht ernst nehmen im Endeffekt. Also dieses Thema, nehmen Sie zwei Aspirin
Speaker1: und kommen Sie in einem Monat wieder, das gilt einfach nicht.
Speaker1: Ich muss es auch immer nicht selber die Antwort wissen, aber einfach auch zu
Speaker1: schauen, Wo kann es für diesen Menschen Hilfe geben? In einem Schmerzzentrum,
Speaker1: bei einem Neurologen und so weiter.
Speaker1: Das reicht aus und ja, schmerztherapeutische Einrichtungen sind eng gesät in Deutschland.
Speaker1: Es gibt wenige und tatsächlich haben wir in Bayern noch den Luxus,
Speaker1: dass wir relativ viele schmerztherapeutische Einrichtungen haben.
Speaker1: Also jetzt im Großraum München fallen mir vom Fleckweg 4 ein,
Speaker1: wo ich sie hinschicken kann und da muss ich noch nicht mal mitspielen am Starnberger See.
Speaker1: Ich kann ihnen auch Schmerztherapeuten nennen, auch Neurologen nennen,
Speaker1: wo sie sich hinwenden können, um die Fragen beantwortet zu bekommen.
Speaker1: Und ja, aber nichtsdestotrotz ist es schwierig, dann Termine zu bekommen.
Speaker1: Das wissen wir auch alle heutzutage, sind fachärztliche Termine schwer zu bekommen.
Speaker1: Ich sage mal, sich deswegen dann nicht zu melden, ist auch der falsche Ansatz.
Speaker1: Auch die Hausärzte sind dann ein wichtiger Punkt und ein wichtiger Partner.
Speaker1: Und ich freue mich immer sehr, dass der Bayerische Hausärzteverband seit 2017
Speaker1: sich wirklich auch schwer bemüht, dort Fort- und Weiterbildungen zu machen.
Speaker1: Und ich darf da regelmäßig auch referieren zu dem Thema.
Speaker1: Seit 2017 bin ich da in dem Team mit dabei. Und das macht mir jedes Mal auch Freude.
Speaker1: Und tatsächlich jetzt in meinem Wohnort haben die meisten Hausärzte auch meine
Speaker1: Handynummer, zumindest die von der Klinik ausgewählt, auch meine private und
Speaker1: die melden sich aber auch regelmäßig, wenn sie Patienten haben.
Speaker1: Also das Wichtige ist dann einfach auch das Thema Schwarmintelligenz.
Speaker1: Ich muss nicht alles selber wissen und nicht alles selber lösen können,
Speaker1: aber ich muss jemanden zumindest wissen, wo ich jemanden hinschicken kann,
Speaker1: um dann Antworten zu bekommen.
Speaker1: Und das gilt insbesondere für die Migräne. Was kann ich falsch machen?
Speaker1: Ich habe schon gesagt, zum falschen Zeitpunkt ein Tryptan nehmen,
Speaker1: dann ist es einfach unwirksam.
Speaker1: Und man hört auch immer und liest auch immer von potenziellem Schlaganfallrisiko.
Speaker1: Ja, ich habe gesagt, Tryptane sind Medikamente, die Blutgefäße verengen.
Speaker1: Ein Schlaganfall ist eine Blutgefäßverengung im Gehirn. das ist theoretisch denkbar aber es ist
Speaker1: Das ist vergleichsweise gering und mir ist jetzt persönlich kein Patient bekannt,
Speaker1: der durch die Einnahme eines Tryptans einen Schlaganfall erlitten hätte.
Speaker1: Das heißt aber auch nichts, weil ich jetzt natürlich viele Patienten sehe.
Speaker1: Man muss darauf achten, Patienten mit Risikofaktoren von Schlaganfall sollten
Speaker1: diese Tryptane einfach auch nicht nehmen.
Speaker1: Ab einem gewissen Alter sollte man von denen auch Abstand nehmen,
Speaker1: weil da einfach das Risiko aufgrund von Gefäßverkalkung erhöht ist,
Speaker1: dass da was passieren kann.
Speaker1: Genau dafür gibt es dann wieder andere Medikamente die man nutzen kann und das
Speaker1: ist einfach eine individuelle Geschichte, wo es wichtig ist dass man sich an
Speaker1: den Experten wendet und das dort mit dem auch bespricht
Speaker0: Auf jeden Fall und ich kann noch mit einwerfen wir haben uns auch im Vorfeld
Speaker0: mit Hausärzten unterhalten und die haben das auch bestätigt mit dem Hausärzteverband,
Speaker0: vor allem in Bayern wir haben aber auch mit Hausärzten gesprochen aus dem norddeutschen Bereich,
Speaker0: die haben tatsächlich auch gesagt, es ist wahnsinnig schwer für uns einzustufen,
Speaker0: was eine Migräne ist und wie wir dann richtig auf den Patienten eingehen können.
Speaker0: Also man versucht dann schon auf den Patienten zuzugehen und da auch nicht das
Speaker0: Gefühl zu vermitteln, ja, du hast Kopfschmerzen, das ist okay.
Speaker0: Sondern, dass es tatsächlich auch schwer ist, dann für einen Hausarzt,
Speaker0: der ein Patient ja eigentlich schon länger auch kennt, da wirklich darauf einzugehen.
Speaker0: Herr Dr. Reiter, jetzt lassen Sie uns mal Migräne verstehen und die Phasen und die Trigger.
Speaker0: Es gibt ja diese vier Phasen, die Pro-Romal-Phase, die Aura,
Speaker0: die Schmerzphase, die Post-Romal-Phase.
Speaker0: Wie äußern sich diese Phasen bei Patientinnen und Patienten in ihrer Klinik.
Speaker1: Bei jedem anders. Das kann man schon mal grundsätzlich sagen und jeder Schmerz
Speaker1: ist ein komplexes, individuelles Thema.
Speaker1: Wie ich vorhin schon berichtet habe, in der Prodromalphase, die Experten oder
Speaker1: die Patienten, die so eine Phase bemerken, kennen das dann auch schon und wissen
Speaker1: dann, okay, jetzt kommt bald was.
Speaker1: Zeitlich kann die bis zu zwei Tage schon vor der Migräne losgehen.
Speaker1: Dann kommt eben bei manchen Patienten diese Aura-Phase.
Speaker1: Auch die ist unterschiedlich vom zeitlichen Ablauf, von Minuten bis Stunden.
Speaker1: Es gibt tatsächlich auch Auren ohne Migräne.
Speaker1: Das ist eine Sonderform, also eine Aura ohne Kopfschmerz besser gesagt.
Speaker1: Der Kopfschmerz selber, der
Speaker1: sollte dann nach der definitionsgemäß zwischen Minuten und Stunden dauern.
Speaker1: Auch das lässt sich nicht exakt festlegen, wie lange das jetzt dauern muss,
Speaker1: aber in der Regel sind es schon im Bereich von einer halben Stunde bis mehreren
Speaker1: Stunden, die das dauern kann.
Speaker1: Und dann kommt diese Post-Iktal-Phase, also Nach-Anfalls-Phase und die ist auch
Speaker1: eben unterschiedlich lange.
Speaker1: Am Ende des Tages, man ist auf jeden Fall mal einen halben Tag bis Tag ausgenockt.
Speaker1: Und auch wenn man die Migräne konkret und korrekt behandelt,
Speaker1: ist es meistens so, dass der Rest des Tages dann gelaufen ist und die nächsten
Speaker1: Tage dann potenziell auch so ein bisschen verkatert sein können.
Speaker1: Da ist es eben auch wichtig, sich ein Stück weit auch anzunehmen,
Speaker1: so zu verhalten, wie es einem gut tut. Also es gibt Menschen,
Speaker1: die brauchen dann absolute Ruhe, die rennen mit Ohrhörern rum und verdunkelter
Speaker1: Brille, Sonnenbrille mit Eismasken und so weiter.
Speaker1: Und einfach, um sich von den Reizen abzuschirmen, die halt diese Schmerzspitzen noch weiter triggern.
Speaker1: Triggerfaktoren ist auch immer schwierig. Es gibt Patienten,
Speaker1: die berichten, wenn sie Rotwein trinken und Schokolade essen, dann kommt die Migräne.
Speaker1: Das kann man biochemisch sich erklären über den Botenstoff Tryptophan,
Speaker1: der dort in der Vorstufe eben mit drin ist und der dann weiter verstoffwechselt wird zu Serotonin.
Speaker1: Und Serotonin ist eben einer der Mitzielorte.
Speaker1: Die Tryptane sind letztlich Serotonin-Wiederaufnahmehämmer an bestimmten Kanälen
Speaker1: und sorgen dann dadurch zur Gefäßerweiterung.
Speaker1: Tatsächlich sind die Trigger auch extrem individuell, auch Lichtblitze können
Speaker1: sowas machen, Belastungen, Schreck.
Speaker1: Es gibt auch Menschen, die durch Ruhe und durch Entspannung die Migräne kriegen.
Speaker1: So die typische Wochenend-Migräne.
Speaker1: Wenn man die ganze Woche durchpowert und dann am Wochenende endlich Zeit hat
Speaker1: für Entspannung, dann gibt einem der Körper noch einen mit.
Speaker1: Auch diese Geschichten kennen wir von Patienten.
Speaker1: Und so ist es einfach etwas sehr, sehr Individuelles.
Speaker1: Und wo ich dann auch wiederum sagen kann, naja, am Ende des Tages,
Speaker1: derjenige, der es erlebt, der hat auch in der Schilderung dieser Triggerfaktoren dann recht.
Speaker1: Ich würde niemals sagen von Haus aus,
Speaker1: das dürfen sie nicht und sie müssen so und so handeln, weil jeder Mensch halt
Speaker1: auch anders ist und das für sich selber herausfinden muss, wie funktioniere
Speaker1: ich in dieser Situation,
Speaker1: um damit dann auch ein individuelles Vorgehen und ein individuelles Management erarbeiten zu können.
Speaker1: Aber von daher sind diese Trigger spannend.
Speaker1: Die Schmerzphase selber, haben wir schon darüber gesprochen,
Speaker1: wie es sich anfühlt, eben dieser einseitig pulsierende.
Speaker1: Es gibt aber auch Migränen, die sind beidseitig, die wechseln die Seite.
Speaker1: Und deswegen zu sagen, das ist beidseitig, das kann keine Migräne sein oder
Speaker1: es ist nicht pulsierend, das kann keine Migräne sein, das darf ich grundsätzlich so nicht machen.
Speaker1: Also ich habe keine Pflicht, alle Punkte erfüllt zu haben.
Speaker1: Und das ist dann eben auch der Punkt, wo wir Experten uns dann manchmal auch
Speaker1: im ersten Moment nicht unbedingt einig sind, ist es das.
Speaker1: Aber wir dann eben durch die Behandlung draufkommen, was es letztlich ist.
Speaker1: Und wenn ein Tryptan funktioniert gegen diesen Kopfschmerz, dann ist die Wahrscheinlichkeit,
Speaker1: dass es sich um die Migräne handelt,
Speaker2: Schon relativ hoch.
Speaker0: Herr Dr. Reiter, jetzt ist man ja in den Bereich Schmerzmedizin und vor allem
Speaker0: in den Bereich Migräne in so ein Selbstmanagement reingegangen und Patientinnen
Speaker0: und Patienten zur Patientin und da haben wir auch von einer Patientin die Info bekommen,
Speaker0: ich führe ein Tagebuch, aber ich weiß oft trotzdem nicht, ob die Therapie wirkt.
Speaker0: Wie helfen Sie Ihren Patientinnen und Patienten, den Therapieerfolg besser zu erkennen?
Speaker1: Das ist eine sehr spannende Frage. Tagebuch ist für uns ein diagnostisch hochwichtiges
Speaker1: Mittel und ich persönlich kriege Kopfschmerzen,
Speaker1: wenn ich diese klassischen Tagebücher sehe, weil das sind eng bedruckte DIN-A4-Seiten
Speaker1: mit Tabellen und vielen Ausführungen und so weiter.
Speaker1: Je genauer die Information, desto besser. Aber das auszuwerten,
Speaker1: das bereitet mir persönlich immer Kopfschmerzen.
Speaker1: Deswegen empfehle ich grundsätzlich Apps.
Speaker1: Es gibt von der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft eine App.
Speaker1: Es gibt von der Kopfschmerzklinik Kiel in Zusammenarbeit mit der Technikerkrankenkasse
Speaker1: eine App, die man kostenfrei runterladen kann und die einem eine Auswertung ausspuckt.
Speaker1: Und eine Auswertung finde ich immer persönlich schön, weil die einzelnen Tage
Speaker1: auszählen zu müssen, finde ich immer irgendwo mühsam.
Speaker1: Aber um Muster zu erkennen, ist es wichtig.
Speaker1: Wir empfehlen diese Kopfschmerztagebücher tatsächlich aber auch nur eingeschränkt zu nutzen.
Speaker1: Weil ich möchte ja eigentlich weg vom Thema Schmerz. Zu diagnostischen Zwecken, da brauche ich es.
Speaker1: Aber irgendwo sollte auch mal der Punkt sein, wo ich es beiseite lege und gar
Speaker1: nicht mehr so auf das Thema Schmerz fokussiere.
Speaker1: Weil ich ja davon jetzt letztlich keinen Mehrwert habe.
Speaker1: Und es manchmal auch so eine selbst erfüllende Prophezeiung wird.
Speaker1: So nach dem Motto, oh Gott, jetzt kommt da dieses Muster und dann steigert man
Speaker1: sich rein ein Stück weit.
Speaker1: Deswegen würden wir gerne auch ab einem gewissen Zeitpunkt wieder weg,
Speaker1: weil der Patient ist ja letztlich irgendwann auch der eigene Experte.
Speaker1: Zu beurteilen, ob die Therapie wirksam ist oder nicht, naja, das kann der Patient.
Speaker1: Und da darf man sich auch trauen zu sagen, es funktioniert nicht.
Speaker1: Natürlich ist irgendwann der Schrank leer gefuttert, sage ich jetzt mal.
Speaker1: Und ich habe jetzt vielleicht nicht mehr so und so viele Optionen und Möglichkeiten der Akuttherapie.
Speaker1: Aber es gibt immer eine Möglichkeit.
Speaker1: Und die rauszusuchen und rauszufinden, ist halt einfach unsere gemeinsame Aufgabe auf dem Weg.
Speaker1: Wenn Sie was einnehmen und die Schmerzen bleiben stehen, dann funktioniert es nicht.
Speaker1: Kann aber auch daran liegen, dass es keine Migräne sein muss,
Speaker1: sondern es gibt ja auch Kombinationskopfschmerzen. Also eine Mischung aus Spannungskopfschmerz und Migräne.
Speaker1: Und am einen Tag ist es ein Spannungskopfschmerz, am anderen ist es eine Migräne.
Speaker1: Das kriegen Sie aber raus.
Speaker1: Und Patienten sind in der Regel sehr, sehr gut in der Lage, mir zu sagen,
Speaker1: ist es eine Kopfschmerzart oder sind es mehrere Kopfschmerzarten?
Speaker1: Das ist halt meine Aufgabe, das rauszuarbeiten.
Speaker1: Sie dürfen und sie müssen sich da auch dann als Patient vertrauen.
Speaker1: Und wenn sie an den Arzt kommen, der ihnen sagt, das kann so nicht sein,
Speaker1: dann bin ich persönlich da, also so eine Aussage kriegen sie von mir nicht.
Speaker1: Weil letztlich es ist, wie es ist. Ja, und deswegen ist es wichtig,
Speaker1: trauen Sie sich das ruhig zu und sagen Sie auch Ihrem Arzt ganz klar,
Speaker1: so und so empfinde ich das.
Speaker1: Was ich natürlich sagen kann, ist, dass ich dafür keine Erklärung habe,
Speaker1: aber behandeln werden wir es ja dann trotzdem und einen Weg suchen.
Speaker0: Auf jeden Fall. Herr Dr.
Speaker0: Reiter, jetzt haben wir ja schon viel, viel, viel gelernt über das Thema Migräne, das Verständnis.
Speaker0: Was ist Migräne eigentlich? Welche Arten gibt es?
Speaker0: Was hat es denn mit dieser Aura auf sich? Jetzt auch wirklich wieder wertvolle
Speaker0: Tipps im Bereich des Tagebuches, was Sie empfehlen, warum Sie es auch empfehlen.
Speaker0: Das ist auch immer ein wichtiger Punkt für die Patientinnen und Patienten.
Speaker0: Warum empfiehlt der Arzt das? Wir haben uns ja ganz klar vorher besprochen und haben gesagt,
Speaker0: das ist einfach ein sehr, sehr intensives Thema und ein sehr,
Speaker0: sehr ausführliches Thema und werden zwei Teile daraus machen.
Speaker0: Ein sehr, sehr spezieller Fall, weil wir Ihnen und euch da draußen einfach auch
Speaker0: die Möglichkeit geben wollen, mit denen Daten und mit den Infos, die Dr.
Speaker0: Reiter jetzt einfach zur Verfügung gestellt hat, schon mal umzugehen.
Speaker0: Wir werden im zweiten Teil speziell darauf eingehen über MRT und mikroangiopathische Veränderungen.
Speaker0: Wir werden über die medikamentösen Therapien und Innovationen sprechen.
Speaker0: Und wir sprechen über die multimodale Therapie, wie das in so einer Klinikstruktur
Speaker0: dann am Ende überhaupt funktioniert und natürlich auch die Versorgung und Aufklärung im Gesamten.
Speaker0: Und im letzten Teil werden wir dann noch so ein paar Feinheiten in den Herrn Dr.
Speaker0: Reiter rauskitzeln, wo denn der Ausblick hingeht im Bereich der Migräne,
Speaker0: im speziellen Fall der Schmerztherapie, um was da alles auf uns zukommt.
Speaker0: Also seid gespannt und abonniert unseren Kanal, damit ihr auch nicht verpasst,
Speaker0: wenn Teil 2 unserer Folge rauskommt, wenn es um die Migräne geht.
Speaker0: Bis dahin, macht's gut, einen schönen Tag, schöne Zeit und bis bald.
Speaker0: Euer Zwischenvisite und Vision Team.
Speaker0: Das war Teil 1 über das Thema Migräne. Ein ganz besonderer Dank geht jetzt schon mal raus an Dr.
Speaker0: Thomas Reiter für die Zeit, für die Mühe, die er sich gegeben hat und gemacht
Speaker0: hat für diese Folge mit der intensiven Aufklärung.
Speaker0: Ich kann euch versprechen, in Teil 2 wird es genauso spannend und genauso interessant
Speaker0: werden und er verrät uns auch einige praktische Tipps für die Zukunft.
Speaker0: Also seid gespannt und wir würden uns freuen, wenn ihr uns einen Kommentar da
Speaker0: lasst auf Instagram, LinkedIn oder Facebook oder einfach auch über unseren WhatsApp-Kanal,
Speaker0: den ihr in unserer Biografie seht.
Speaker0: Vielen Dank, euer Mr. F.
Music: Music
Speaker1: Das war Zwischen Visite und Vision. Medizin im Gespräch.
Speaker1: Wenn dir diese Folge gefallen hat, freuen wir uns, wenn du unseren Podcast abonnierst,
Speaker1: weiterempfiehlst und natürlich wieder reinhörst.
Speaker1: Hier sprechen wir mit Menschen, die Medizin leben. Über Herausforderungen,
Speaker1: Chancen und das, was wirklich zählt.
Speaker1: Vertrauen, Wissen und der Blick nach vorn.
Speaker1: Du findest uns auf allen gängigen Podcast-Plattformen
Speaker1: sowie auf Instagram unter wo wir
Speaker1: dir spannende Einblicke und Updates zu den kommenden Folgen bieten Noch näher
Speaker1: dran bist du über unseren WhatsApp-Kanal oder du schreibst uns einfach direkt an mit deinen Fragen,
Speaker1: Themenwünschen oder Anregungen Bleib gesund,
Speaker1: neugierig und offen für neue Perspektiven.
Speaker1: Dein Podcast-Team zwischen Visite und Vision Medizin im Gespräch.
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