Zwischen Tablette und Therapie – Wege im Umgang mit chronischem Schmerz Teil2 mit Colette Milliner

Shownotes

Gast dieser Folge: 🩺 Colette Milliner Pain Nurse bei den Kliniken der Stadt Köln Vize-Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin https://www.qualitylife4u.de/blog/aktuelles/

Titel: 🎧 Zwischen Tablette und Therapie – Wege im Umgang mit chronischem Schmerz 🧩 Vom Aushalten zum Ansprechen – chronische Schmerzen verstehen

Moderation: 🎙 Mr. F – Florian Beigelbeck

Kapitelübersicht: 00:00 Begrüßung & Einstieg 02:00 Was chronischer Schmerz mit dem Alltag macht 06:30 Spezialisierte Pflege & Patient:innen-Begleitung 13:00 Gespräch & Berührung als Therapie 18:40 Was fehlt – systemisch & zwischenmenschlich 24:00 Persönlicher Umgang mit Belastung 27:00 Abschluss & Ausblick

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Das Intro- und Outro-Thema dieser Folge stammt vom Track „Love Me“, bereitgestellt vom Tunebel Music Label – verwendet in der instrumentalen Version mit freundlicher Genehmigung. Vielen Dank an Tunebel für die musikalische Unterstützung. https://www.tunebel.com/

Transkript anzeigen

Speaker0:

[0:03] Hallo und herzlich Willkommen zu einer neuen Folge von Zwischen Visite und Vision. Medizin im Gespräch mit Dr. T und Mr. F.

Speaker1:

[0:17] Wie viel Schmerz ist noch normal? Und ab wann ist man nicht mehr nur empfindlich, sondern chronisch krank? Chronischer Schmerz ist unsichtbar, aber allgegenwärtig. Er verändert Beziehung, raubt Schlaf und ergräbt Selbstvertrauen und wird trotzdem oft nicht gesehen. Betroffene kämpfen nicht nur mit dem Körper, sondern mit Missverständnissen, medizinischen Sackgassen und dem Gefühl, nicht ernst genommen zu werden. Stellen Sie sich nicht so an, ein Satz, der mehr zerstört, als er hilft. Wir sprechen heute mit einer, die nicht nur begleitet, sondern hinschaut. Nicht nur pflegt, sondern Haltung zeigt. Colette Melina, Pain Nurse mit Spezialisierung auf Kommunikation, Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin und eine starke Stimme für Patientinnen und Patienten, die oft überhört werden. Es geht um den Alltag mit Schmerz, um Pflege, Therapie und darum, wie ein System wieder menschlicher werden kann. Denn Schmerz braucht mehr als Medikamente. Er braucht Aufmerksamkeit, Verständnis und endlich Raum. Herzlich willkommen zu einer neuen Folge und ich begrüße ganz herzlich Colette Gelina. Los geht's!

Speaker1:

[1:42] So, hallo und herzlich willkommen zurück im Teil 2. Eine kleine Premiere bei Zwischenvisite und Vision. Kollege Melina, ich freue mich sehr, dass du jetzt auch im Teil 2 nochmal ganz detailliert über den chronischen Schmerz sprichst. Wir haben ja im Teil 1 über die Sexualität auch gesprochen im chronischen Schmerz. Wirklich toll. Wir springen jetzt aber gleich rein ins Thema für unsere Hörer, die den Teil 1 noch nicht gehört haben und mehr über Colette wissen wollen. Die können da gerne reinhören. Wir gehen am Anfang in Block 1 über, was ist denn der chronische Schmerz? Wie definierst du chronischen Schmerz medizinisch, aber auch menschlich?

Speaker0:

[2:36] Ja, also der chronische Schmerz wird ja in der Definition über einen längeren Zeitraum definiert. Also man spricht von drei bis sechs Monaten, wenn der Schmerz anhält und hat das auslösende Ereignis ja verlassen. Das heißt, wenn wir uns in den Finger schneiden, dann haben wir einen Schmerz. Das heißt, wir sprechen hier von einem Akutschmerz. Wenn die Verletzung verheilt ist, dann lässt der Schmerz auch nach. Das ist auch psychisch mitdefiniert. Also auch da, wenn es da beispielsweise eine Trauer gibt, die lässt dann im Laufe der Zeit bestenfalls nach. Beim chronischen Schmerz ist es aber so, wir haben den verheilten Schnitt, der ist nicht mehr zu sehen und trotzdem haben wir immer noch diesen Schmerz, der jetzt quasi von der Stärke her so ist, als hätten wir wirklich eine ernstzunehmende Verletzung. Ich kann sehr gut nachvollziehen, wenn Patienten berichten, mir geht es so schlecht, ich bin selber chronische Schmerzpatientin, ich leide selber an Fibromyalgie und ich habe permanent Schmerzen. Das Interessante ist, dass man tatsächlich sich daran gewöhnt, ein Stück weit immer Schmerzen zu haben. Also dass man das quasi auch mit in seinen Alltag nimmt. Also ich weiß nicht mehr, wie es ist, ohne Schmerzen zu sein.

Speaker0:

[4:06] Und das bringt natürlich viele Dinge mit sich. Also natürlich ist die Psyche mit beeinflusst, dass man auch so denkt, jetzt geht heute wieder gar nichts. Und natürlich ist es so, dass man auf Dinge verzichtet oder die nicht mehr so ausüben kann, wie man das mal konnte, dass sich Gehstrecken und Sitzzeiten verändern, die Sexualität natürlich auch und auch der Arbeitsplatz nicht mehr so vielleicht erledigt werden kann, wie man das ursprünglich getan hat, dass man sich nicht mehr gut konzentrieren kann und Zeiten hat, wo man total müde ist, nicht schlafen kann etc. Also das sind ganz viele Komponenten, die da zusammenkommen.

Speaker0:

[4:55] Und dann gibt es natürlich unterschiedliche Möglichkeiten, damit umzugehen. Wir sind in einer verrückten Zeit momentan. Sehr schnelllebig, sehr oberflächlich, sehr aggressiv und böse. Und das macht ja auch was mit uns. Und da muss man jetzt nicht unbedingt schon chronischer Schmerzpatient sein, aber wir kennen ja draußen, wenn wir mit dem Auto unterwegs sind, da sind Menschen, die sind so aggressiv, wo man sich so fragt, der Tag hat gerade angefangen, was ist passiert, dass man so böse ist? Und das wirkt auch alles auf uns ein, wie wir miteinander umgehen und ob man nach links und rechts mal schaut, wie geht es dem anderen neben mir. Ich finde, Corona hat das sehr auch nach vorne gebracht, wie der Mensch gerade so konzipiert ist. Ich fand es erschreckend, zu beobachten, wie egoistisch und feindlich der Mensch unterwegs ist mitunter. Das hat man in den Supermärkten gemerkt, dass Menschen da ohne Maske rumliefen und gar nicht gedacht haben, das könnte ein älterer Mensch sein, das das Leben kostet vielleicht. Ich bin nicht allein unterwegs. Was wäre, wenn alle so reagieren wie ich und sich so verhalten? Und das ist mit dem chronischen Schmerz, finde ich, das spielt eine große Rolle.

Speaker1:

[6:23] Auf jeden Fall. Kannst du uns kurz ein paar Krankheitsbilder nennen, die beim chronischen Schmerz häufig sind?

Speaker0:

[6:35] Ja, also auf jeden Fall die rheumatischen Erkrankungen, die kennen wir ja immer schon, die sind ja gesichert, die sind da. Das sind natürlich Erkrankungen, die wirklich auch mit Entzündungen und auch tatsächlich mit dem Niedergang der knöchernen Strukturen einhergehen, was eine Katastrophe ist für den Menschen.

Speaker0:

[7:05] Alleine auch schon das Wissen darüber, dass ich irgendwann Ersatzgelenke brauche, das sind ja auch Tatsachen. Man muss ja wissen, wir sind ja Kopfmenschen und wenn wir wissen, wir steuern auf eine Erkrankung zu, die fortlaufend schlechter wird, wo ich im Grunde genommen nichts gegen tun kann und die ein Ende für mich bereithält, was dann auch lebensqualitativ sehr niedrig angesiedelt ist, dann macht mir das Angst und dann beeinträchtigt das mich in meiner Lebensqualität absolut. Dann haben wir zum Beispiel auch die Polyneuropathie. Das ist wieder ein ganz anderes Schmerzbild, wo die Patienten in mehreren Gliedmaßen einen Nervenschmerz haben, der nicht beeinflussbar ist. Und vor allen Dingen auch nicht, ich sage immer, da hat man es mit dem Teufel zu tun. Wenn man den oben einfängt, dann feuert er unten umso mehr los, sage ich jetzt mal an den Füßen.

Speaker0:

[8:08] Also auch diese Patienten sind mitunter verzweifelt, weil sie gar nicht wissen, was für ein Ausmaß nimmt diese Erkrankung an. Die Fibromyalgie natürlich, die jetzt gerade im Moment in aller Munde ist, wo man sich ja immer noch streitet, gibt es die tatsächlich oder nicht. Ich finde solche Aussagen, da muss man immer vorsichtig sein, weil gerade Menschen, die an so einer Erkrankung leiden oder an ganz seltenen Erkrankungen, Schmerzsyndromen, die haben da schon einen ganz langen Leidensweg hinter sich. Und es dauert lange, bis so eine Diagnose ausgesprochen ist, dann muss man das auch erstmal selber verarbeiten, verstehen und wenn man dann sagt, hör mal, das gibt es gar nicht, was du da hast, so nach dem Motto, du spinnst, ich sage es jetzt mal so, damit kann ich Menschen in den Tod treiben, ja?

Speaker1:

[9:00] Colette, viel schlimmer finde ich eigentlich bei der Phypomyologie-Syndrom, wie schnell man verurteilt wird. Das ist tatsächlich so und... Es ist auch so mit diesen Einführungen jetzt mit, ich hole da jetzt mal ein bisschen aus von der Versicherungskarte eines gesetzlich versicherten Patienten, jetzt haben wir die Rezepte schon drauf, jetzt ist der Plan, dass als nächstes die Hauptdiagnosen immer schon hinterlegt sind. Und wir wissen alle, und da brauchen wir uns nichts vormachen in der Medizin, sobald der Patient kommt, und es steht auch irgendein Vorbefund Fibromyalgie-Syndrom drauf, hast du einen Stempel.

Speaker0:

[9:37] Ja, definitiv.

Speaker1:

[9:39] Und ich kann dir sagen, ich habe das vor 20 Jahren in der Chirurgie schon erlebt, wie schnell man mit dieser Diagnose eigentlich rumspringt und eigentlich sich so wenig damit beschäftigt auch, ist schon auch ein bisschen beängstigend in der Medizin. Ich bin dafür, dass man immer mal eigentlich auch wirklich klare Tests machen muss, ob es dann am Ende auch eine gesicherte ist oder eine, weil aufgeschrieben ist schnell was, da müssen wir uns nichts vormachen. So eine Diagnose ist man schnell eingezerbt, aber der Hintergrund dann daraus oder was für einen Patienten da mit passiert, ist eigentlich, finde ich, viel extremer auch im Umgang mit diesen Diagnosen. Und das ist ja nicht nur in der Medizin so, sondern das ist am Ende ja dann auch für die Betroffenen und für die Partner so wichtig. Vielen Dank dir auf jeden Fall schon mal für die Erklärung, auch für die wirklich verständliche Erklärung mit Polyneuropathien und so weiter. Es gibt noch Dutzende. Wir wissen, vor allem die Zuhörer, die jetzt wahrscheinlich speziell zu diesem Thema eingeschalten haben, wir können nicht alle besprechen, das geht einfach nicht, es sind einfach zu viele.

Speaker1:

[10:58] Da würden wir eine ganze Tagesfolge draus machen. Du hast doch vorher schon schön beschrieben, den Unterschied zwischen akutem Schmerz und chronischem Schmerz. Kannst du darauf nochmal ein bisschen detaillierter eingehen?

Speaker0:

[11:15] Ja, also der Akutschmerz ist einfach, um das jetzt mal so zu verstehen, Da spricht man zum Beispiel, wenn man eine Operation hat und man hat den Wunschschmerz, das zählt zum Beispiel unter einem Akutschmerz oder eine Blinddarmentzündung oder etwas, was ganz akut gerade plötzlich auftritt und mit einer Verletzung einhergeht. Und die Verletzung, die ist entweder körperlich, aber auch psychisch. Ja, also ich kann auch eine psychische Verletzung erleiden und auch hier spricht man von einer akuten Situation und die gilt es natürlich auch sofort zu behandeln, weil der Akutschmerz ist eine Warnfunktion, das heißt halt, hier stimmt was nicht. Ja, wenn wir so einen plötzlichen Schmerz erleben, dann gehen wir zum Arzt und dann muss die Ursache gefunden werden, weil es ja so ist, dass der Schmerz uns warnt. Wenn wir auf eine heiße Herdplatte fassen, dann ziehen wir die Hand zurück, weil der Schmerz da ist. Ja, dann wird ganz klar, hier geht was kaputt, wenn du die Hand da drauf lässt und zwar ganz massiv. Also ziehen wir die Hand weg. Wir haben dann trotzdem noch diesen Schmerz, aber der warnt uns quasi davor, dass wir mit unserer Hand auf der Herdplatte verharren.

Speaker0:

[12:30] Jetzt ist es aber so, dass, und das würde jetzt glaube ich für den Laien zu weit führen, dass dann im Gehirn die Schmerzverarbeitung gestört sein kann. Und wir über dieses Ereignis des Akutschmerzes, also dieses plötzlichen Schmerz, Verletzung, Verheilung, Schmerz lässt nach, der Schmerz trotzdem bleibt und zu einer eigenständigen Erkrankung wird. Und man aber dann nicht mehr in einem Röntgenbild oder von außen sehen kann, okay, da ist was kaputt.

Speaker0:

[13:05] Es gibt chronische Schmerzerkrankungen, da geht tatsächlich was kaputt, Rheuma zum Beispiel, aber die ganze Gesamtsituation mit dem Symptomkomplex, einer rheumatischen Erkrankung spricht natürlich zum einen dafür, dass ein Gelenk kaputt geht, aber wir eine Entzündung haben, die nicht von einem äußerlichen Einfluss her rührt. Und diese Erkrankung bleibt ja dann auch. Also der Schmerz bleibt bis ans Lebensende und von daher ist das mit als chronischer Schmerz zu definieren. Und das Zeitfenster sind so drei bis sechs Monate, wo man sagt, okay, der ist jetzt schon so lange da, dieser Schmerz. Da müssen wir jetzt davon sprechen, dass dieser Schmerz chronisch ist.

Speaker1:

[13:59] Definitiv. Ich kann da auch ein kleines Beispiel noch dazu bringen, tatsächlicherweise aus einer Folge, die wir vorab hatten, und zwar bei der Schulterschirurgie. Da wurde dem Patienten, der das ja erwähnt hatte, wie das so war nach der OP, nach der Operation ein sogenannter Schmerzkatheter gesetzt und gezielt wirklich über den Hals den Schmerz zu unterdrücken bzw. Zu behandeln, damit er gar nicht diesen Schmerz hat, weil, wie man sonst gemerkt hat, Und dafür gibt es tatsächlich dann Studien, dass bei Patienten, wo das nicht gemacht wird oder die mit diesem Schmerz länger und gerade Schulter nach OP, wissen wir beide, sechs bis acht Wochen Ruhe und so weiter, sich der verankert, dann wird es ansonsten auch nicht. Und dann geht halt auch diese interdisziplinäre Zusammenarbeit im Anschluss mit Physiotherapie und Co. Nicht so zügig und die Patienten haben einfach weiterhin dann ihre Beschwerden. Also auch da, umso näher es natürlich auch am Hirn ist, am Rückenmark ist, umso eher brennt sich das natürlich im Kopf ein. muss man auch dazu erwähnen.

Speaker1:

[15:19] Du hast jetzt vorher auch schon im ersten Teil so ein bisschen über den Alltag mit Schmerz gesprochen. Kannst du noch mal so ein bisschen, wie verändert chronische Schmerz denn den Alltag? Also aufstehen bis zum Schlafen gehen dann wieder. Wie erlebst du das von den Erzählungen von deinen Patienten oder auch wie erlebst du es selbst?

Speaker0:

[15:45] Ja, also was die Patienten betrifft, da gibt es ja unterschiedliche Äußerungen. Also es gibt Patienten zum Beispiel, die schlafen sehr gut. Das sind mir die Liebsten, sage ich mal. Da sage ich immer, sind sie froh, dass sie eine Nachtruhe haben. Es gibt Patienten, die haben überhaupt kein Zeitfenster mehr, wo sie eine Pause haben vom Schmerz. Also auch da muss man differenzieren Dann gibt es natürlich in der Fibromyalgie die Situation dass man morgens schon, also man hat nachts sowieso schon pochende und klopfende Schmerzen und brennende Schmerzen.

Speaker0:

[16:22] Und man wird morgens wach und denkt das wird auf keinen Fall klappen, dass man aufsteht Man hat also diese Steifigkeit, man hat massive Schmerzen oftmals in der Nackenschultergegend, weil man, die Sehnenansätze ja so verhärten und man ist natürlich total erschöpft von der Nacht, und hat den Eindruck, man kann auf keinen Fall aufstehen, man muss liegen bleiben. Und das ist absolut Gift bei der Fibromyalgie, liegen zu bleiben, denn dann wird es auch immer schlimmer. Also liegen verschlimmert eigentlich das Schmerzbild, sondern man muss tatsächlich versuchen, über diese Antriebslosigkeit hinwegzukommen, aufzustehen und sich sofort zu dehnen. Also gerade diese verhärteten Stellen aufzudehnen, denn dann lässt der Schmerz auch wieder nach und dann kann man auch wieder in die Bewegung kommen. Und das ist das A und O bei der Fibromyalgie. Also diese verhärteten Stellen aufzulösen. Da gibt es wunderbare Mittel, die man anwenden kann. Also ich persönlich kann sagen, dass man da auf jeden Fall eine große Prozentzahl an Schmerzen minimieren kann.

Speaker0:

[17:41] Dann gibt es natürlich auch Patienten, die haben Nachtschmerzattacken. Tagsüber sind sie schmerzfrei. Also es gibt so viele verschiedene Äußerungen, die natürlich den Alltag beeinflussen.

Speaker0:

[17:54] Und hier muss man Strategien finden, wo man sagen kann, wenn ich mich ausruhe, dann wird es wieder besser, dass man da eben Pausen einbaut in den Alltag, dass man nicht immer bis zur obersten Kante, bis zur obersten Grenze in die Aktivität geht und dann die Pause auch schon nichts mehr bringt. Sage ich mal, weil der Schmerz dann schon so hoch gepoppt ist, seine Medikamente zu kennen, zu wissen, wie sie wirken und da auch absolute Regelmäßigkeit walten zu lassen. Viele Patienten sind so verzweifelt, die Doktern tatsächlich mit ihren Medikamenten eigenmächtig rummieren. Und da haben wir oft die Problematik, dass wir da auch noch einen Entzugsschmerz von Opiaten haben. Und wenn sie dann verzweifelt in die Ambulanzen kommen oder in die Praxen kommen und sagen, ich halte das nicht mehr aus, ich habe jetzt solche Schmerzen. Und da ist es nämlich dann so, dass oft, wenn ich dann nachfrage, dass wir da tatsächlich es mit einem Entzugsschmerz zu tun haben und gar nicht mal unbedingt mit dem chronischen Schmerz als solches. Und da muss man sich überlegen, was bediene ich da jetzt gerade? Und wie bediene ich das? Und das sind so Dinge, wenn man da den Patienten aufklärt, dann kann man da auch schon mal viele Störfaktoren ausräumen und dem Patienten auch da wieder Hilfen bieten, wie er da seinen Schmerz beeinflusst.

Speaker1:

[19:23] Das hast du wirklich toll erklärt, vor allem mit dem Entzugsschmerz, das ist tatsächlich gar nicht so selten. Und das wird auch wirklich immer so ein bisschen runtergespült. Und er ist halt drauf, sagt man ja dann immer. Ja. Und da redet man ja auch tatsächlich schon von einem Suchtverhalten natürlich. Klar, es ist auf jeden Fall sehr interessant, auch wie du es beschrieben hast, die Rolle von euch in der Pflege, in dem Schmerzmanagement, da wirklich auch speziell auf den Patienten einzugehen. Welche interdisziplinären Ansätze siehst du denn für besonders wirksam in dem Bereich des chronischen Schmerzes?

Speaker0:

[20:10] Also ich war jetzt, erst vor zwei Tagen war ich in einer Schmerzklinik und ich bin ja momentan, also dieses Jahr bin ich ja on Tour, sage ich mal. Ich gehe die ganzen Zentren und Praxen mir anschauen, wie sie arbeiten und was man mitnehmen kann an positiven Arbeitsweisen. Und jetzt war ich gerade in einem Schmerzzentrum in der BG-Klinik in Duisburg und das war schon, muss ich sagen, so nach meinem Geschmack. Also da gab es Pain Nurses und... Die machten dort Schmerzvisiten, es gab Fallbesprechungen jeden Tag um eine feste Uhrzeit und da guckten dann aber wirklich auch alle Disziplinen drüber und dann hat man sich dann auch auf ein Schmerztherapie-Konzept geeinigt, wo man jetzt erstmal weiter ansetzen will.

Speaker0:

[21:04] Weil tatsächlich war das Interessante, dass es da gerade einen sehr, sehr speziellen, komplexen Fall gab, der für mich jetzt auch neu war. Aber auch wie das dort gehandhabt wurde, da waren also wirklich alle Disziplinen an Bord und haben geguckt, dass der Patient jetzt nach der Amputation seiner kompletten rechten, also seiner Finger von der rechten Hand dann auch schmerzmedikamentös gut aufgefangen ist. Und wo man schon wusste, das wird sehr herausfordernd mit diesem Menschen. Und das ist so etwas, wo ich so denke, da müssen wir hin. Ja, also das ist, wie du es in der ersten Folge schon gesagt hast, nicht darum geht, du könntest was Besseres sagen, sondern hier geht es wirklich nur um den Patienten und ihn bestmöglichst zu versorgen. Und ich denke, ganz wichtig hier auch nochmal an dieser Stelle, ein Ego hat in dieser Versorgung nichts zu suchen.

Speaker1:

[22:06] Definitiv. Ich habe schon kurz überlegt, ob ich reingregen muss, aber das ist genau einer der Punkte gewesen, warum wir gezielt gesagt haben, wir wollen mit dir sprechen, wir wollen dich als Gast bei uns haben, in dem Format, weil eben auch das Feedback und das kriegst du wahrscheinlich gar nicht so mit, das sind die Ärztebewertungen,

Speaker1:

[22:33] So gut ist, dass du dich wohl mit der Rolle in der DGS da so also so aktiv zeigst und auch sagst, hey, ich schaue mir das vor Ort an, ich schaue mir an, was gut ist, um auch mal zu sehen, wie es funktionieren kann und nicht nur immer, wir können ja alle irgendwelche theoretischen Pläne mal erstellen, sondern dass du auch wirklich dann dran bist und sagst, ah, okay, schaue mir aber auch das an, wo es vielleicht mit so einem kleinen, mit einer kleinen Veränderung vielleicht deutlich besser funktioniert. Gerade interdisziplinär und ich glaube jetzt bei deinem Satz mit gewissen Konferenzen über die Patienten, da werden jetzt einige Ärzte neidisch sein. Das ist ja so der große Wunsch, dass man wirklich mit allen Bereichen, Physiotherapie, Ärzte, Krankenschwestern, Pflegekräfte, egal wie, da wirklich auch öfters über die Patienten spricht. Wir wissen alle, da fehlt meistens die Zeit dazu, aber da sieht man ja anscheinend auch, wo ein Wille oder ein Weg scheint ja doch zu funktionieren.

Speaker0:

[23:43] Ich glaube auch, dass man tatsächlich über den, also wir zum Beispiel haben ein festes Fach, wir können nicht interdisziplinär arbeiten, das gibt das Setting nicht her, aber was wir auf jeden Fall auch bei uns tun, wir gucken über den Tellerrand. Also wir sind gut vernetzt und wenn wir merken, der Patient braucht jetzt eine Anbindung, dann kriegt er von uns auch Adressen an die Hand, wo er auch wirklich untergebracht ist. Und ich glaube, wenn wir da auch, und das machen ja auch schon viele, nochmal so ein bisschen über den Tellerrand hinaus blicken und gucken, wo schicke ich den Patienten hin oder wo geht der jetzt hin, also dass man ihn einfach nicht da auch so entflutschen lässt, dann haben wir ja auch schon zumindest so ein bisschen den Patienten gebahnt.

Speaker1:

[24:31] Wie gelingt es Patientinnen und Patienten zu stärken, ohne diese typischen Motivationssprüche, sondern mit echter Unterstützung?

Speaker0:

[24:43] Ja, also ich denke, also meine Devise ist, und das liegt vielleicht auch daran, dass ich selbst chronische Schmerzpatientin bin, ich rede nicht von der Kanzel herab, sondern auf Augenhöhe. Und ich versuche, dem Patienten auch klarzumachen, dass ich weiß, wie diverse Dinge, also ich kriege dann auch oft, ja, sie wissen ja gar nicht, wie das ist und ich bin ausgesteuert und ich habe dies und ich habe jenes, wo ich sage, ich habe das alles schon hinter mir und ich stehe jetzt hier vor ihnen, weil ich ihnen klar machen will, es gibt Wege. Ja, und ich habe keine mildere Form oder irgendetwas, aber ich habe meine Wege gefunden und die will ich natürlich vermitteln. Und ich glaube, wenn man dem Patienten das Gefühl gibt, okay, ich nehme mir die Zeit und es muss ja nicht immer eine Stunde sein, aber wenn man sich mal fünf Minuten Zeit nimmt und sich anhört, was der Patient zu sagen hat, die Ängste, die Sorgen, dann aber auch ein Stück weit rigoros zu sein. Also es macht auch keinen Sinn, dem Patienten zu sagen, oh Gott, das ist so schrecklich, was sie da durchmachen, sondern auch zu sagen, pass auf. Und wenn du Lust hast, wenn du selber bereit bist, was zu tun, dann bin ich an deiner Seite und begleite dich. Aber wenn du nur möchtest, dass von außen was kommt, dann ist meine Zeit zu kostbar, dann bin ich raus.

Speaker1:

[26:12] Dafür ist auch unser System überhaupt nicht mehr ausgelegt. Nein. Wir hören es ja auch in den anderen Folgen immer wieder, wir sind weg von diesem All-Inklusiv-Paket. Das gibt es einfach nicht und der Patient muss auch mehr tun. Da bin ich auch voll dabei. Ich erlebe das auch, wahrscheinlich wie du auch und im Privaten häufig genug, wenn man dann sagt, naja, ich habe hier jemanden oder ich kenne da jemanden, da könnte man was organisieren, ist aber halt zwei Kilometer weiter weg. Dann hört man schon so, ah, und dann frägt man sich natürlich auch so, hm, ist es dann wirklich so schlimm?

Speaker0:

[26:46] Ich weiß nicht, ob wir das beurteilen können. Das wird ja auch schnell beurteilt. Ist es wirklich so schlimm? Der Patient lacht und sagt, ich habe einen Schmerz auf einer Schmerzskala von 8. Sie sehen aber eher nach einer 5 aus. Also solche Sachen kennen wir ja auch. Ich denke, wichtig ist, den Patienten ernst zu nehmen und ihm das auch zu vermitteln. Also das ist das A und O. Egal, wie er uns erscheint, es obliegt uns nicht, das zu beurteilen. Wir müssen das nehmen, was er uns sagt. Und das müssen wir ernst nehmen. Aber wir dürfen auch ganz klar kommunizieren, wenn wir merken, unsere Zeit verpufft dort in dieser Arbeit. Das Recht haben wir auch.

Speaker1:

[27:35] Ja, definitiv. Und ich muss auch sagen, es ist auch faszinierend, weil ihr seid in einem Bereich, im Bereich Schmerz, wo ihr nicht wisst, also man kann es nicht messen. Man kann das nicht auf dem Bild sehen. Man kann keine Skala sehen. Also klar, es gibt diese Schmerzskala, aber das ist ja Patientenindividuell. Da auch wirklich das Fingerspitzengefühl zu haben, und das muss ich euch hoch anrechnen, das zu haben, um auch einschätzen zu können, okay, mit dem Patienten gehe ich jetzt den Weg wirklich noch über diese Klippe hinaus und führe den da drüber, damit er über diesen Punkt drüber kommt. Aber auch zu sehen, hey, der Patient, der will nicht. Also das ist tatsächlich faszinierend, muss ich wirklich sagen. Also wirklich Hut ab vor eurem Job, den ihr da täglich machen müsst. Das ist, glaube ich, eine der schwierigsten Gruppen, vor allem, weil sie auch ganz oft mit der Palliativ in Verbindung ist, denen ihr da geht. Wirklich toll. Colette? Was ist denn dein Wunsch im Umgang mit Schmerz auf gesellschaftlicher Ebene, aber auch mit Miteinander?

Speaker0:

[28:59] Also mein Wunsch ist es, dass beispielsweise auch vom Arbeitsamt für spezielle Erkrankungen, die jetzt ja auch schon so stigmatisiert sind, ja, also dass auch da mehr Aufklärung auf den Arbeitsstellen stattfindet. Also da gibt es auch so Schulungsprogramme oder Ein-Implementier-Programme, wo man da einfach auch nochmal sensibilisiert, warum kann denn der Mitarbeiter nicht acht Stunden am Stück konzentriert arbeiten oder sitzen oder was auch immer. Also da gibt es auch für den Rückenschmerz, ja. Also was ich auch tatsächlich im Privaten miterlebe, ist, dass es heißt, ja, der Kollege, der ist andauernd krank und der kann nicht dies und der kann nicht das und der muss sich rausziehen und so. Also da findet ganz, ganz wenig Verständnis statt, weil ja da auch wieder jeder auf eigenen Wegen unterwegs ist und überhaupt sich gar nicht damit befassen will, was ist mit meinem Kollegen. Ja, aber auch diese müssen ja untergebracht sein. Die müssen ja auch eine Möglichkeit haben, Geld zu verdienen und ihrer Arbeit nachzukommen.

Speaker0:

[30:08] Da würde ich mir wünschen, dass da einfach mehr Aufklärung stattfindet. Und insgesamt, ja, wie gesagt, ich kann es immer nur wiederholen, die interdisziplinäre Arbeit, die muss gelebt werden. Und zwar auf allen Ebenen. Und ja, da wünsche ich mir einfach, dass das sich irgendwann mal so selbstverständlich festsetzt und dass wir da wieder Qualität in die Versorgung reinbringen.

Speaker1:

[30:39] Ja, wirklich tolle Worte von dir und auch wahre Worte. Da kann man sich da mal wirklich so Gedanken machen, ob man nicht manchmal manche Dinge zu schnell verurteilt. Wir haben ja in der ersten Folge absichtlich unsere Frage weglassen, aber in der zweiten Folge darfst du sie auch beantworten oder musst sie sogar beantworten.

Speaker0:

[31:09] Zwischen Visite und Vision. Das Fachliche darf gehen, das Persönliche darf bleiben. Was war Ihr schönster Moment im Klinik- oder Praxisalltag? Ach, da gibt es so viele schöne Momente. Also ich finde zum Beispiel, wenn man solche schwierigen Patienten, also schwierig meine ich, oder sagen wir mal komplexen Schmerzbilder hat und da quasi erreicht, dass der Patient einfach eine Erleichterung erfährt und auch seine Lebensqualität wieder zurückgewinnt. Oder auch man merkt, Mensch, das hat gefruchtet von dem, worauf ich hingearbeitet habe.

Speaker0:

[31:52] Das macht mich immer total glücklich. Also das finde ich einfach ein schönes Gefühl zu sehen, Mensch, der hat da jetzt noch was Schönes vor sich und erkennt das selber auch und hat seinen alten Mantel abgelegt sozusagen, den ich vorher schon gesehen habe, aber der Patient eben nicht. Also das sind so Dinge, das macht mir einfach Spaß und deswegen bleibe ich da auch dran. Es macht mir Spaß oder der schönste Moment war tatsächlich, wir hatten mal eine Patientin, die sehr übergewichtig war und ich glaube, die hätte das tatsächlich nicht überlebt, wenn wir sie nicht dazu gedrängt hätten, ihren Magen verkleinern zu lassen. Und das hat sie getan und sie ist dann... Mit massiven Schmerzen hat sie sich halbiert und dann ist sie mit ihrem Ehemann in die Türkei in den Urlaub gefahren und hat uns ein Video geschickt, wo sie im Pool schwimmt. Und da muss ich sagen, das war einer der schönsten Momente in meinem Dasein, weil ich so dachte, dass sie das erlebt, das habe ich mir so für sie gewünscht und auch unser Oberarzt und das hat uns schon sehr berührt.

Speaker1:

[33:07] Das ist auf jeden Fall echt schön zu hören. Vielen Dank, Colette, für deine ehrliche, fachliche und starke und zutiefst menschliche Perspektive. Und in allen da draußen, danke fürs Zuhören. Wir freuen uns über Fragen, Rückmeldungen und neue Impulse. Und folgt auch Colette auf ihrer Instagram-Seite, qualitylife4you. Wirklich sehr interessante Beiträge dabei. Ja, vielen Dank, dass du da warst. Vielen Dank für deine Zeit und für dieses wirklich intime Thema in den zwei Folgen und vor allem für dieses spezielle Thema, das eine sehr, sehr hohe Wichtigkeit hat, weil tatsächlich sehr viele Leute daran leiden. Danke dir.

Speaker0:

[33:56] Ich danke auch. Hat Spaß gemacht.

Speaker1:

[34:07] Vielleicht war diese Folge heute für einige von euch schwer, vielleicht aber auch befreiend. Denn über chronische Schmerzen zu sprechen, bedeutet Unsichtbares sichtbar zu machen. Was oft wie Müdigkeit, Gereiztheit oder Rückzug erscheint, ist in Wahrheit ein täglicher Kampf mit sich. Mit dem System und manchmal auch mit der Hoffnung. Was wir heute gelernt haben, Therapie beginnt nicht nur mit Tabletten, sondern mit Zuhören. Mit echter Zuwendung. Mit der Frage, was brauchst du gerade wirklich. Danke an Colette Melina für ihre Expertise, ihre Herzlichkeit und ihren unerschüttlichen Einsatz für Menschen, die oft übersehen werden. Und danke an euch fürs Zuhören. Wenn euch diese Folge berührt hat oder euch jemand einfällt, der sie hören sollte, dann teilt sie gerne. Wir hören uns in der nächsten Folge wieder, zwischen Visite und Vision. Euer Mr. F.

Speaker0:

[35:14] Das war Zwischen Visite und Vision. Medizin im Gespräch. Wenn dir diese Folge gefallen hat, freuen wir uns, wenn du unseren Podcast abonnierst, weiterempfiehlst und natürlich wieder reinhörst. Hier sprechen wir mit Menschen, die Medizin leben. Über Herausforderungen, Chancen und das, was wirklich zählt. Vertrauen, Wissen und der Blick nach vorn. Du findest uns auf allen gängigen Podcast-Plattformen sowie auf Instagram unter wo wir dir spannende Einblicke und Updates zu den kommenden Folgen bieten Noch näher dran bist du über unseren WhatsApp-Kanal oder du schreibst uns einfach direkt an mit deinen Fragen, Themenwünschen oder Anregungen Bleib gesund, neugierig und offen für neue Perspektiven. Dein Podcast-Team zwischen Visite und Vision Medizin.

Music:

[36:16] Music

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